* Gegen den kommerziellen Tourismus – Für die Begegnung mit Menschen, Kulturen, Lebensräumen
von Hedwig Seyr-Glatz (September 2010)
Jedes Mal, wenn mein Mann und ich über unsere Reiseerfahrungen mit dem Wohnungstausch zu erzählen beginnen, kommen wir ins Schwärmen:
Wir kommunizieren in verschiedenen Fremdsprachen, früher über Briefe oder Telefonate, heute fast ausschließlich über E-Mail.
Wir lernen Menschen, Familien, Paare, Einzelpersonen, alle von ihrer Schokoladenseite, kennen.
Wir sehen, riechen, entdecken andere Wohnungen, alle von ähnlichem Standard wie unsere und meist auf Hochglanz geputzt, aber es ist doch anders und noch viel spannender.
Wir gehen herum in Stadtvierteln, Landschaften, Gegenden wie in unseren, aber es ist doch anders und noch viel spannender ;-).
Wir fühlen uns wie zu Hause, sobald wir unser Gepäck verstaut, die Räumlichkeiten erkundet, die erste Mahlzeit gegessen oder Kaffee getrunken haben, aber es ist doch alles anders und noch viel spannender! :-))
And so feel our guests I think.
* Herzenssache
Einige Zitate aus unserem Gästebuch:
„Quel beau séjour nous avons vecu à Vienne! Nous quittons votre ville riches de souvenirs; nous y avons trouvé tout ce que nous venions y chercher. Sympathie et convivalité de surcroit. Chaleureuses amitiés à vous deux. Les normands Jacqueline et Dominique“ 20 aout 2006
Lorenz and Hedwig,
Thank you so much for the nice reception we received. The food, the conversation and instructions. We apologise for our changing schedule. Your warm and friendly home was so convienent to all we wanted to do in Vienna. It was almost a dream. We hope you enjoy our unit as much! Don and Lynn from Sacramento, 3. – 11. 8. 2008
„Enivrés d’histoire, d’images et de lieuxde tous les siècles et de l’ame d’une ville superbe, nous quittons Vienne heureux et déjà quelque peu nostalgiques. C’est à vous, votre acceuil, votre générosité et votre amitié que nous devons ces jours heureux. Nous vous en remercions du fond du coeur et nous vous disons déjà : Bienvenu au Quebec cet automne!
Robert, Geneviève et Laure-Marie et Cathrine 15 – 20 juillet 2010 (Robert ist Schriftsteller; daher ist sein Eintrag in unser Gästebuch wohl gar so hymnisch ausgefallen.)
Ansonsten gestalten sich unsere Kontakte sehr unterschiedlich: das geht von Freundschaften bis zu ganz geschäftsmäßigen Beziehungen. Seit meinem letzten Wohnungstausch mit Venedig, musste ich jedoch mein Vorurteil, dass die Lagunenstädter mehr Geschäftsleute als Gastfreunde wären, revidieren: Luisa und Renzo empfingen uns mit echter Freundlichkeit, Kaffee und einem Kühlschrank voll von italienischen Köstlichkeiten einschließlich von Renzo selbst auf venezianische Art marinierter Langusten, ganz zu schweigen von der vorangegangenen klaren Korrespondenz und der bestens ausgestatteten Informationsmappe.
* Lehrersache
Begonnen hat alles damit, dass ich mir als fortbildungsbegeisterte Französischleherin der 80er Jahre gedacht habe, es müsste doch Deutschlehrer in Frankreich geben, die – genauso wie ich an einem Aufenthalt irgendwo in Frankreich interessiert war – gern nach Wien kommen und mit uns ihre Wohnung tauschen möchten. Und tatsächlich fand ich in der damaligen, noch internetlosen Zeit im „Ecoute“, der Zeitschrift für francophile Deutschsprachige, eine Annonce des Echange Enseignants in Pau. Und von da an ging’s los: Wir bekamen den Katalog mit Adressen und, bevor wir noch jemanden anschreiben konnten, erhielten wir schon die telefonische Anfrage von Francois und Ginette aus Rennes. Es klappte. Wir fuhren im Juli nach Rennes, wo sie wohnten und von wo sie uns nach Dinan in ihr damaliges Ferienhaus begleiteten. Zwei Tage geleiteten sie uns durch die Gegend und überließen uns dann unserem Schicksal. Ein paar Wochen später trafen wir uns in unserer Badehütte am Mondsee, verbrachten wieder 2 Tage miteinander, übergaben ihnen dann die Schlüssel unserer Wiener Wohnung. Seither sind wir mit ihnen befreundet. Sind wir irgendwo in Frankreich, kommen sie auch heute noch angereist und machen wir uns einen und mehrere schöne Tage miteinander, zuletzt heuer in Paris. Außerdem besuchten sie uns schon mehrmals in Wien und waren wir auch schon mehrmals bei ihnen in der Bretagne.
Viareggio, Annecy, Oxford, Aix-en-Provence, Berlin, Strassburg, Nizza, Venedig, Paris, , Kalifornien, Quebec, New York und einige mehr folgten in den kommenden Jahren, zuerst mit dem „Lehrerhaustausch“ und dann nach seinem Aufgehen in „Homeexchange.com“ mit diesem.
* Nervensache
Vorher und nachher putzen, ja das gibt schon etwas Stress, weil ja die Gäste alles mit anderen Augen sehen. Unsere Altbauwohnung im 19.Jh.-Gebäude hat zwar viele Vorteile wie einen Hofgarten mit ein wenig Gemüse, Kräutern, Sträuchern, Blumen, Birkenwäldchen, Bambushain, Buchsbaumhecke, aber sie liegt im Parterre und ist daher nicht so hell wie eine Dachterrassenwohnung.
Zwar sind die Möbel z.Teil noch von IKEA aus unseren Studentenzeiten, dafür wenig empfindlich und praktisch. Aber es könnte sich doch jemand im Zentrum Wiens was Eleganteres, Bürgerlicheres, Vornehmeres erwarten. Minderwertigkeitskomplexe!
Außerdem findet man grade am Putztag immer reparaturbedürftige Maschinen, Stellen, Ecken, die man dann noch schnell im letzten Moment vor dem Eintreffen der Gäste oder Wegfahren vertuschen oder vielleicht doch reparieren muss.
Lösung:
Die großen Putz- und Reparaturtage werden auf die Zeiten vor einem Wohnungstausch verlegt – Ergebnis: verblüffend saubere Wohnung, in der meist alles funktioniert!
Schließlich hat man/frau schon Routine nach 2 Jahrzehnten Wohnungstausch!
* Erfahrungssache
Natürlich werden wir immer wieder alles Mögliche von unseren Bekannten gefragt: Zum Beispiel: Wie, wann, wo trefft ihr euch? – Entweder in der einen oder in der anderen Wohnung oder gerade dazwischen, z.B. haben wir uns mit den Strassburgern auf der Autbahnraststätte Mondsee zum Mittagessen , letzten Besprechungen und Schlüsseltausch getroffen, mit der Familie aus Annecy in Landeck.
Gab es Probleme mit der Sauberkeit, mit dem Telefon, mit Unzuverlässigkeiten?
Kaum zu glauben: Kein einziges Mal! – Einmal war ein selbstgebastelter Schreibtisch zusammengebrochen. Die Strassburger, denen das passiert war, hinterließen uns 50.-Euro. Das war die Sache nicht wert; wir schickten sie daher wieder zurück.
Dafür passierte uns in ihrer Wohnung auch ein Missgeschick: Wir hatten uns ausgesperrt. So lernten wir die netten Nachbarn kennen. Sie halfen uns dabei übers Dach in ein offenes Fenster hineinzuklettern.
Apropos Nachbarn: Ein schönes Erlebnis diesbezüglich hatten wir auch in Oxford. Gleich am Tag nach unserer Ankunft und Erkundung des Gartens begrüßte uns Jim von jenseits des Gartenzauns und lud uns zu einem Gläschen Wein in sein Haus ein; daraus wurde ein schönes Abendessen unter dem alten Birnbaum mit anregenden Gesprächen über Gott und die Welt, aber vor allem die Erde; denn der freundliche Herr ist bei der Umweltorganisation „Friends of the Earth“. Und wir sind jedenfalls auch „friends of home-exchange“ und hoffen diese Form des Reisens noch lange Jahre praktizieren zu können.