von Lorenz
geschrieben am Sonntag 01.07.07
Der Wohnungsumbau ist bei weitem nicht abgeschlossen, alles verspätet, wir kommen erst am Mittwoch abend zum Packen, nachdem die Tischler endlich unfertiger Dinge abgezogen sind. Wir kriegen es gefasst hin. Bis jetzt seh ich, dass wir tatsächlich das Meiste eingepackt haben, etliches Unnötige und dafür einiges Wichtigere nicht. Naja, das ist nicht besonders aufregend, es war ja schließlich fast immer so. Am Donnerstag, 28.6. in aller Früh auf, um 7 Uhr fährt der Zug nach München ab. Das Wetter ist angenehm lauwarm, in München aber ausgesprochen kalt, ich hole zufrieden mein Opa-Hemd hervor, das für die unerwartet kalten Tage. Am Flughafen stellen wir uns bei SunExpress an, so achtzig bis neunzig Prozent der Passagiere sind (Deutsch)Türken, bei der Abfertigung kümmern sie sich nicht um das bissl Übergewicht, das wir gepackt haben (Muzos Gin), die sechs Kilo Handgepäck werden nicht überprüft, ich ziehe die beiden dicken Reiseführer wieder aus den Gesäßtaschen und stecke sie in den Rucksack. Hedi ist ein wenig nervös, ich geb so überzeugt den Profiflieger, dass ich mir die Rolle schon selber glaube, umso mehr als neben mir eine ältere türkische Frau sitzt, die sich schrecklich fürchtet und einen Gebetszettel vor sich hinmurmelt. Sie ist schon 35 Jahre in Deutschland, sie fliegt wohl kaum das erste Mal. Trotz einer halben Stunde Verspätung sind wir ziemlich pünktlich in Izmir, das Visum kriegen wir wirklich in Form einer Marke um 15 Euro im Vorbeigehen, ein Österreicher redet von Wegelagerei, weil er für sich und seine Frau 30 zahlt – der Kerl hat keine Ahnung, was einem Türken passiert, der ein Schengenvisum haben will. Ich klär ihn auch nicht auf. Muzo steht schon bereit, die Hitze ist beträchtlich, aber weniger dramatisch, als in Österreich in den Medien geschildert. Schließlich wird aus den südlichen Hitzewellen schon ein Standortvorteil der Alpenrepublik aus dem Klimawandel abgeleitet.
Wir fahren zum ersten Mal durch die Landschaft, die von Geldhunger und Investitionswut an allen Ecken und Enden verschandelt wird. (Hedwig: Bei der Abzweigung nach Ephesus sehe ich mich als Dreiundzwanzijährige im Minikleidchen autostoppend am Straßenrand stehen – die brüllende Hitze war die gleiche, nur spüre ich sie jetzt im klimatisierten Opel nicht, damals, im August 1973 fuhren nur ganz vereinzelt Fahrzeuge- meist Kleinlaster – vorbei und rundum war es menschenleer, Zikadengesang und Olivenplantagen herrschten vor – von riesigen Hotelbauten noch keine Spur.) Es ist unglaublich, was alles und wie in Kusadasi gebaut wird. Der südliche Vorort Long Beach mit einem noch nicht merkbaren türkischen Namen ist einer von vielen, die fast ganz aus Middle- und Upperclasswohnhäusern aus den letzten paar Jahrzehnten bestehen. Eine Kombination aus zwei Solarelementen und zwei Tonnen zur Warmwasserbereitung auf den Flachdächern ist hier Standard geworden, und schaut urscheußlich aus. Muzo ist eine Ausnahme, er sagt, die Wartung ist lästig, er bevorzugt den teuren, aber bequemen Strom. Wasser bezieht er nur im Winter aus der öffentlichen Wasserleitung, dann sind nämlich, so haben wir es heute gehört, nur 50.000 Leut in Kusadasi, während es während der Saison zehn mal so viel sind. Im Sommer pumpt er aus seinem eigenen Brunnen Wasser in die Hausleitung. Trinkbar ist es nicht, Trinkwasser bringt ein Lieferant in einer großen Flasche. Ganz zuverlässig ist die Pumperei aber auch nicht, zeitweise gibt es hier unterm Dach nichts zum Waschen, Spülen und Duschen.
Füsun war bei unserer Ankunft noch in der Arbeit, für Fremdenführer ist schließlich Hauptsaison. Deniz und die Haushälterin, deren Namen ich nicht und nicht behalte, sind da. Letztere spricht nur Türkisch und kocht offenbar sehr gut, Füsun spricht in höchsten Tönen davon, ich neige dazu, ihr Recht zu geben, Muzo ist eher zurückhaltend. Heute hat Füsun erzählt, dass die Mutter der Perle von ihren Verwandten davon abgehalten wurde, nach Deutschland arbeiten zu gehen, weil das nur in Prostitution enden würde. Die Tochter aber sei heute der Meinung, dass auch das noch besser gewesen wäre, als hier zu bleiben. Deniz ist interessiert, aber scheu. Heute hat sie diese Scheu Hedi gegenüber abgelegt, sie springt mit ihr herum und schaut sie ganz verliebt an. Zum Abendessen gibt es erst Muzos schon bekannt guten Gin-Limetten-Longdrink, dann bekommen wir ein köstliches Fisolengemüse, das Füsuns Lob der Köchin bestätigt.
Die Nachbarn aus Ankara sind auch da. Er ist ein hoher Gewerkschaftsfunktionär und stinkreich, sagt Füsun. Man wundert sich, dass er sich mit bloß einem Haus und einem recht großen Garten zufriedengibt, er könnte sich einen Park so groß wie ein Feld leisten. Er hat kein Sitzfleisch, immer muss er was tun, jetzt z.B. Rasen mähen. Die Frau sei zwar eine ausgebildete Lehrerin, bediene ihn aber die ganze Zeit hinten und vorn.
Bilder und Beschreibung:
Aussicht von unserer Miniterrasse aus. Allerdings mit Teleeinstellung aufgenommen, sodass es aussieht, als wären wir 50m von der Beach, während es gut 300 sind ;-):
Die rechte Hälfte des Doppelhauses ist „unsere“. Drei Etagen mit je zwei Zimmern bzw. unten Küche und Wohnzimmer, auf jeder Etage Wasser und Klo, auf den beiden oberen auch Badezimmer(chen). Auf dem Dach des Nachbarhauses die obligate Warmwasseranlage. Muzo meint, der obere Behälter enthält das kalte Wasser, der untere das von den Solarelementen erhitze. Einleuchten tut mir das nicht, aber was sagt das schon?:
Zweimal die Terrasse. Bei den anderen Häusern haben wir gesehen, dass die Terrasse so gut wie immer überdacht ist. Wenn sie’s wie hier nicht ist, macht das das Wohnzimmer heller, das Haus aber heißer und die Terrasse zu den Sonnenzeiten z.B. leider zu Mittag – unverwendbar:
Jazz, aber mit a gesprochen. Ca. sieben Jahre alt, weiblich, stoisch, häufig von männlichen Nachbarn besucht. Jetzt, wo ich das schreibe, liegt sie in der Sonne. Hedi sagt „mad dog“, aber es ist erst dreiviertel zehn. Wird nicht gefüttert, ist Selbstversorger zumindest im Sommer. Ob ihre Vorfahren dabei waren, als der Zorn Achill soviele Helden „heloria teyche kynessin“?:
Am Freitag, 29.6. gehen wir durch eine schöne Vorgartenbuschallee an meist gerade bewohnten Häusern vorbei zum Meer. Im Winter sollen die meisten leer stehen, Deniz hat kaum Spielgefährten in dieser Zweitwohnungsgegend, bedauert die Mama. Am Sandstrand ist es windig und kühl, es ist noch kaum was los, wirklich dicht wird es bis zum Nachmittag nicht. Wir liegen im öffentlichen Teil unter einem Schilfschirm, daneben die meist leeren Liegestühle „Chez Maurice“. Wir plantschen abwechselnd herum und lunchen dann beim frankophilen Wirten, der uns gleich in sein Gästebuch eintragen lässt, was uns ihm sofort gewissenhaft verpflichtet. „Zu Hause“ haben sie für uns mitgekocht, wir kriegen es halt statt zum Lunch zum Dinner. Danach fahren wir mit dem Minibus um 2 form- und ticketlose Euro pro Nase ins Nightlife nach Kusadasi. Gedränge gibt es keins, wenig Leute sind es auch nicht grade. Wir schlendern die Hauptstraße, den Basar, entlang. Wen immer man anschaut, der will einem was verkaufen. Die, an denen man vorbeischaut, auch. Falls ich was kaufen wollte, dann ist es mir entfallen. Der einen Moschee will Hedi nicht nähertreten, da dort zu viele Kopftücher und Bärtige herumstehen, zur zweiten flüchten wir, flüchten gilt zumindest für mich. Sie hat einen baumbestandenen „Kirchenplatz“, Kinder laufen herum und spielen, nur ein Kopftuch mit Kind sitzt auf einem Bankerl und links und rechts vom Portal knien und buckeln zwei Männer auf Teppichen vor Nischen. An der Moscheewand hängt eine Leuchtschrifttafel, von der ich nur die Uhrzeit verstehe. Gegen den Basar ist das alles recht unaufdringlich.
(aber langweilig; ich komm ja auch mit den ständigen Geschäftsanbahnungen/bandelungen nicht gut zurecht, aber glaube, dass man/frau sich gewöhnen und allmählich besser/lockerer damit umgehen könnte, wenn man es zuließe. Die Abwehrthaltung lässt uns verkrampfen und immer finsterer werden). Wir kommen schließlich zur Karawanserei und erstehen dort an einem Standl einen Stadtplan, sicher zu überhöhtem Preis. (Find ich gar nicht; wer hier ankommt, muss damit rechnen, dass es andere Sitten gibt. Sich gleich ausgenommen fühlen und unentwegt darauf hinweisen – ja, das hebt die Stimmung sicher nicht!) Am Hafenbecken ist ein Bezirk „Scala Nuova“, der Name, den die Genueser für die Stadt hatten. Heut ist das ein Einkaufsbezirk mit den global bekannten Markengeschäften, an dem das einzig Bemerkenswerte ist, dass man nur mit Taschenröntgen und durch Detektorbogen hineinkommt. An einem Fischrestaurant vorbei, in dem unüberhörbar Franzosen speisen, gehen wir um die Hafenbucht herum über die Mole zur Taubeninsel, der Kusadasi seinen Namen „Vogelinsel“ verdanken soll. Wir gehen den Weg zur Felsspitze mit dem Kastell hinauf. Vor dem Tor sitzen etliche junge Leute, darunter zwei Kopftuchmädchen, ein paar leicht Bekleidete und auch Burschen. Durchs Fenster sehen wir ein großes Saurierskelett. Alles ein bissl skurril. Beim Runtergehen begegnet uns ein Knirps, der gegen den Widerstand der Mutter knautschend sich selbständig die Stufen runterlässt – tatsächlich ohne hinzufallen. Sie schauen sehr türkisch aus, bis ihn die Mutter als „klanan Waunsinnigen“ bezeichnet, was ihn als echten Wiener ausweist. Mit Blick auf die Bucht trinken wir ein Helles und ein Dunkles, sehr schön und lauschig, am Ende der Bay verfärbt sich die Leuchtschrift „Elias“. Seit gestern weiß ich von Muzo, dass es nichts Prophetisches, sondern ein Nachtclub ist. Beim Heimgehen kommen wir doch noch ins Streiten, weil Hedi zu müd und ängstlich ist, statt noch einmal durch den Basar zu latschen, einen Abstecher durch die dunkle Altstadt zu gehen, was mich sehr frustriert. (Von wegen Abstecher: senkrecht zu unserer Richtung und eine düstere, enge Stiegengasse ohne Licht am Ende des „Tunnels“. Da kämen wir in die Wohn- und Schlafzimmer der Kusadasier, meine ich und empfinde das als Sensationsgeilheit. Dazu Lorenz‘ Bemerkung, dass bisher nichts Interessantes zu sehen gewesen sei und die erste Gelegenheit, was Neues zu sehen, verwehrt würde. Der Stimmungstiefpunkt ist erreicht, die Unstimmigkeit perfekt. Lässt sich aber an diesem Abend und spätnachts noch ausbügeln.)
Bilder und Beschreibung:
die Vorgartenallee zur „Long Beach“, wie die Gegend auch auf den Minibusses heißt, die in diese wohlhabende Vorstadtgegend fahren. Die Häuser sind zum geringsten Teil älter als, sagen wir, zwanzig Jahre. Die luftige Verkabelung schaut fast amerikanisch aus.
Die hübsche Hedi als Anadyomene…
…und abendlich am Brunnen im Basar
geschrieben am Montag, 02.07.07
Am Samstag, 30.6., hat Muzo frei. Er fährt uns samt seiner Prinzessin mit dem Auto nach Selcuk, dem vierten Ephesus nach der jonischen Gründung und den Verlegungen durch Kroisos und Lysimachos. Am Ende haben sich die Epheser also wieder auf einem Hügel ansiedeln dürfen, nachdem sie Kroisos zwangsweis zu Flachländlern gemacht hatte. Hedi genießt, so gut das neben mir geht, den Bazar. Mittagessen mit Köfte in einem Restaurant mit Laube auf Muzos Einladung. Er zeigt uns die Pfeiler des antiken Aquädukts mit den Storchennestern oben drauf. Dort ist auch eine alte Tabakniederlage, aus der Zeit, als die Briten und sonstige Westmächte für die Schulden des Sultans das verpfändete Monopol abschöpfen durften. Imperialismus, sagt Muzo ganz selbstverständlich. Das Steinhaus ist schon restauriert, das Haus daneben noch eine Ruine. Die Renovierungen sollen weitergehen und sowas wie ein MQ ergeben. Auch sonst ist die Stadt für Adebar anscheinend ein guter Platz. Er findet allerorten Unterschlupf. Das Cafe im „ersten Hotel“ der Stadt hat zu, wir trinken einen beim Markt. Wir setzen uns zu einem alten Mann, der uns vornehm oder sonstwie ignoriert, Hedi kriegt in einer Apotheke was gegen ihre offenen Stellen im Mund – Muzo sagt den Frauen, was sie ihr geben sollen.
Auf der Rundfahrt biegen wir von der vierspurigen Schnellstraße zum Artemision ein. Viel mehr als eine wieder aufgerichtete Säule ist in der sumpfigen Niederung nicht zu sehen. Das heutige Niveau ist so viel höher, dass die Ausgrabung schon im Grundwasser liegt. So übertreiben hätt Kroisos auch nicht müssen, als er die frisch Eroberten vom Berg herunterholte. Immerhin war hier die Stadt des Heraklit, der dunkel war, aber von sumpfig war da noch lange nicht die Rede. Vom Herostrat bis zum Ende dieses zweiten Ephesos hat es aber nur noch ein paar Jahrzehnte gedauert.
Schließlich setzt uns Muzo in der Stadtmitte ab. Wir durchqueren den Park zum Ephesus-Museum. Unter den Bäumen stehen verstreut Tische und Sessel, die von einem Buffet am Rande „betreut“ werden. Schaut sehr lauschig aus, und was den Konsum betrifft, sind die hier schon wesentlich totaler als in unsern Grünanlagen. Das Museum ist kleiner, als ich erwartet haben. Die Sonderausstellung „tod am nachmittag“ scheint ein Dauerbrenner seit 2002 zu sein – da jedenfalls ist der gleichfalls exponierte deutschsprachige Führer erschienen. Die Österreicher haben die Exposition über die Gladiatoren und ihre Gemetzel erstellt und beschrieben. Hochinteressant – die antiken Mediziner haben in der Wundversorgung ihre größten Fortschritte als Betreuer der Profischlächter gemacht, deren wertvolles Leben zu erhalten sie gut bezahlte Anstellung fanden. Die Uni-Wien hat einiges geklärt an den diversen Verletzungen und Todesarten der Leute, die penibel dargestellt sind. Interessant die Erörterungen über die Bedeutung der Spiele – als Volksversammlung und Gelegenheit, sich als Herren über Leben und Tod zu erweisen, ja der Obrigkeit Forderungen vorzulegen, die ernst zu nehmen waren. Wär interessant zu wissen, ob sich das von wem auch organisieren ließ. Jedefalls wurde hier der Umgang mit dem Tod gepflegt, ja trainiert , die Bereitschaft, ihm klaglos ins Aug zu schauen und ihn „mannhaft“ zu ertragen. Ein drastisches gnwqi sauton. Die sexuelle Attraktion der Schlächter und der Schlachtung grad noch Entkommenen war laut Grabinschriften und Erwähnungen enorm, ja Augustus hat die Frauen schließlich nur noch von den obersten Rängen zuschauen lassen. Was die auf den vorderen wohl Ekstatisch-Obszönes angestellt haben, dass der Moralapostel so rigoros eingeschritten ist? Hübsch die Exponate aus den Hanghäusern und natürlich der Renner für die Leute von den Cruisern: die beiden recht großen römischen Repliken der „vielbusigen“ Artemis/Kybele.
Wir gehen auf Ayasoluk hinauf, wie die Griechen die ganze Stadt bis zu ihrer Flucht genannt haben. Verfolgertor, dann der weiträumige Platz vor Kirche des Agios Theologus (zurechtgeredet: Ayasoluk), des Saint Jean, wie er am Fuß des Hügels angeschrieben steht, schöner Blick hinab auf die Isabey-Moschee, auf die Küstenebene und die Hügelkette, die uns vom klassischen Ephesus des Lysimachus und Anton Kallinger trennt. Dass in der Ebene in der Antike Meer war, sieht eins an dem Modell der Gegend, das dort vor sich hin wittert. In den justinianischen Ruinen der Johanneskathedrale tummeln sich die Fremdenführer mit ihrer Klientel in der prallen Sonne. Den rezenten ICQUS samt dem gleichaltrigen Speichenrad im Baptisterium interpretiert einer recht fehlerhat, und ich komm mir gescheit vor. Dass ich schweige, tut dem keinen Abbruch. Gottseidank kann nicht jeder Griechisch. Am Sonntag wird das Aise in Ephesus makellos hinkriegen, bloß die Symbole sind auch dort für die Fremdenführer frisch hingekritzelt. Das Apostelgrab ist schön herausgeputzt, aber natürlich leer. Der späte Nachfahre Paulus Sextus hat hier vor vierzig Jahren seine Gebete „ausgebreitet“, wie eine Tafel kundtut. Die Katholen haben in Selcuk also ein bissl einen Stand. Der Weg weiter hinauf zur Festung ist gesperrt.
Unten in der Moschee ist die Säulenhalle des Hofs längst eingestürzt, auf dem am Umgang abgebrochenen Minarett thront eine Storchenfamilie, die beiden Schiffe der eigentlichen Moschee aber sind in Betrieb und abgeschlossen. Links vom Eingang sehen wir durchs Türglas den Stand mit den Propaganda- und Erbauungsschriften. Wirkt recht vertraut. Schatten ist dort auch. Hedi macht ein Nickerchen, ich geh eine Runde durch den sonnigen Hof.
Durch die Anton Kallinger Straße – in Wien hätt er die nicht einmal posthum bekommen – gehen wir an meist ebenerdigen und meist alten Häusern vorbei zurück zur Hauptstraße. Wir kaufen noch Wein aus Sirince, wo Türken die griechischen Weinkulturen übernommen haben. Im Restaurant aber, zu dem der Gassenverkauf mit dem ernsten Buben als Betreuer und Keiler gehört, erfahren wir, dass es ein Helmut Krauss aus Frankfurt ist, der die Weinproduktion als Experte und Investor betreibt. Wir sollen also ruhig Zutrauen haben.
Das Minibus-System ist sehr effektiv. Binnen Kurzem sind wir zurück nach Kusadasi unterwegs, wieder vorbei am Artemision über den antiken Meeresgrund und den verlängerten Kaystros. Auch das Umsteigen in Kusadasi dauert nur ein paar Minuten. Wir bekommen schon wieder zu essen. Die Fisolen sind noch immer köstlich. Dann durch die „Allee“ zum Meer. Es ist schon recht dunkel, die See fast stürmisch, wir gehen kurz rein, freuen und erfrischen uns, dann heim und ab ins Bett.
Bilder und Beschreibung:
Storchennester auf den Stümpfen des Aquädukts
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Hedi vor der einzigen Säule, die vom Artemision (wieder) steht. Was sonst noch da ist, schwimmt im Grundwasser – soweit unter dem heutigen Niveau sind die Ruinen.
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Da erspar ich mir eine Menge Schreiberei!
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Die (zum Teil wieder aufgerichteten) Ruinen der Johanneskathedrale Justinians, dahinter die Festung
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Plan der Johanneskathedrale
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„drinnen“
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Paul was here
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Hedi vor dem Fass des Diogenes?
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Das Modell der Gegend, das strichliert den Küstenvorlauf in „klassischer“, hellenistischer und römischer Zeit und recht schön den Hafen von Ephesus zeigt
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Hedi in der Isabey-Moschee von nah…
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…und von weiter weg
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Ausblick von Ayasoluk aus
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und als Nachtrag noch das „Verfolgertor“, der Eingang zu Ayasoluk
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Im Ephesus-Museum:
Modell des Artemisions
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Mamma 1
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Mamma 2
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Domitian
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zweimal Sokrates aus dem Hanghaus 2
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Stephanos, ein Notabler aus der Spätantike
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Am Sonntag, 1.7., nämlich stehen wir um halb sechs auf. Füsun nimmt uns mit zu ihrer Tour mit Leuten von einem Kreuzfahrschiff. Die Princess, das größte solche auf der Welt, wie Muzo sagt, ist schon wieder weg, das jetzige dagegen trotz aller Wucht fast ein Kleinhäusler. Wir stehen auf dem Parkplatz vor einer Flotte Busse, die auf die Kreuzfahrer warten. Füsun reicht uns an Aise weiter, die mit den Ihren auch zum „Haus der Heiligen Jungfrau“ fährt. Ihr Chef lässt uns gratis mitkommen, auch Aise ist einverstanden mit ihren blinden Passagieren. Die Frau ist aus Izmir, hat Fremdenverkehr in Kusadasi studiert und ist noch blutjung, trotzdem durchaus routiniert genug, so einen faden Haufen Touristen unbeschadet zu überstehen. Sie ist für Atatürk, gegen die Islamisten und lebt von der Hinterlassenschaft der Griechen. Wir im Bus, die Amis vom Kreuzer, Hedi und ich, nehmen es gelassen hin.
Das „Haus der heiligen Jungfrau“ ist ein großteils erhaltenes antikes Haus im Wald bei Ephesos. Dass die heilige Maria dort ihren Lebensabend verbrachte, wissen wir von einer böhmischen Nonne, die vor so hundertfünfzig Jahren davon träumte und den Entdeckern so den letzten Kick zur Auffindung gab. Ganz diesseitig dürfte das Häuschen so ziemlich die einzige Bastion der Katholen in der Türkei sein. Außer Standln für Devotionalien und Fressalien gibt es auch ein Kloster für die Betreuer und eine Gendarmeriestation für die Bewacher. Die letzten drei Päpste waren jeder hier und „effuderunt“ wie auf Ayasoluk nur Paul VI. hier Gebete. Eine füllige Amerikanerin zerrt mit flehender Stimme und resoluter Gebärde einen hageren Franziskaner vor der Kirche vor die Kamera der Freundin und legt dem Hilflosen ungeniert den Arm um die Taille. Die Klos sind vorzüglich, auf dem letzten Stand der Technik. Wir kurven hinunter ins klassische Ephesus.
(Ein wirklich schöner Platz, ohne die vielen Touristen, zu Fuß herauf geschnauft, wärs hier lauschig; ein junger Mann neben mir in der Marienkapelle, durch die man einbahnig durchgeschleust wird, greift zu einer Kerze, auch ich tus und zünd sie draußen in den dafür vorgesehenen Blechkästen an – der hoch kritisierenswerte Gedanke dabei: nützt’s nichts, so schadet es nicht; ich hab mich schon stärker gewähnt – zu Zeiten der Blütenträume, als ich Menschen formen zu können glaubte, nach meinem Bilde … und dein nicht zu achten … wie ich!) Damit wir uns nicht überanstrengen, werden wir zum oberen Tor geführt. Die Amis werden am unteren wieder abgeholt, Hedi und ich jedoch werden bleiben. Die Lage der Stadt im Tal ist wunderschön, vermutlich wär sie ohne Ausgrabung und uns Touristen nocht viel romantischer. Wer aber würde das dann merken? Aise legt sich ins Zeug, selbst einem Amerikaner, der sie fragt, wer bei einem Alphabetisierungsgrad von so vier Prozent denn alle diese Inschriften gelesen haben könnte, pariert sie mit dem Bonmot, dass sie ein paar Minuten brauche, um sich eine Geschichte für ihn auszudenken. Ob sie das auch auf der Uni lernen? Fotografieren kann und brauch ich nicht – mein Akku ist leer. Jedenfalls aber weiß ich jetzt, dass das Odeon neben dem Prytaneion überdacht war, weil keine Ablaufkanäle da sind – im Theater gibt es sie tatsächlich. Dass Sulla in Ephesos beliebter war als Mithradates halte ich jedoch noch immer für aus der Luft gegriffen. Sein Denkmal sagt nicht mehr, als dass er gewonnen hat. Jedenfalls spricht Aise flüssig schönes Englisch (wenigstens für unsereinen) und versprüht Kompetenz. Dass die Celsus-Bibliothek über dem Grab des Vaters als Ehrenmal steht, lern ich vermutlich wieder. Wenn eins schon Consul suffectus und Gouverneur in Asia war, ist das eigentlich ein erfreulich friedliches Denkmal. Aise verabschiedet sich nach dem Theater herzlich und geht mit den Amis zum Bus, Hedi und ich zurück zur Bibliothek. Eine deutsch-türkische Inschrift ehrt die Österreicher, die den Wiederaufbau betrieben und die Zusammenarbeit von Archäologie und Bauwirtschaft so schön unter Beweis gestellt haben. Vetters ist genannt, Kallinger nicht, dafür hat der jetzt eine Straße. Wir sitzen im Schatten. Dass in den einst drei Etagen nur 12.000 libri standen, wie Aise sagt, kommt mir wenig vor. Auch die 500.000 in Alexandria will ich nicht so recht glauben. Zu meiner Zeit hab ich noch von über einer Million gehört. Werd in der Wikipedia nachschauen! – Ja, Aise ist auf dem state of the art in beiden Fällen.
Für die Hanghäuser zahlen wir gesondert Eintritt – nach Ephesos sind wir ja dank Füsun gratis hereingekommen. Die Wohneinheiten des Hanghauses 2 sind eine Art Pompei, gegen deren Besitzer sind auch wir noch immer Kleinhäusler. Ein bissl brutal von den beschreibenden Archäologen, das Erdbeben der Sechzigerjahre des 3.Jh. für einen Glücksfall zu halten, weil die Häuser dann für Jahrzehnte überhaupt aufgegeben und auch später nur teilweise wieder instandgesetzt bzw. umgebaut wurden und so eine Art „Pompei-Effekt“ entstand. Die luftige Überdachung ist eine Wucht, an diesem windigen Tag ist es drinnen nicht heißer als draußen. Die österreichischen Sponsoren feiern sich denn auch gebührend. (Das find ich wieder übertrieben; eine Tafel gibt es, auf der sie vermerkt sind; das halte ich für durchaus entsprechend! Aber freilich muss ich an dieser Stelle einmal Lorenz‘ tolles Fachwissen, das mir doch ganz gratis und ohne türkische Geschäftsanbahnungsmethode zugute kommt, rühmen. Ich find nur immer schade, dass ich da die einzige Zuhörerin bin und komm mir machmal säuisch, weil viel zu wenig aufmerksam angesichts der Perlen, vor)
Wie wir nach drei Uhr zurückkommen, schläft die ganze Familie friedlich, wir dann auch. Am späten Nachmittag fahren wir alle in ein Restaurant und essen Pide im Garten, dann gehts zu einem Basar neben einem Migros. Hedi und Füsun wissen, was zu tun ist, Muzo, Deniz und ich sind eher gelangweilt. Wir schlecken Eis. Der Schianzug daneben dient als Badeanzug für brave Musliminnen. Muzo ist pikiert. Nach einem Raki auf der Terrasse gehen wir alle schlafen. (Ich freu mich, dass ich da in Füsun endlich jemanden mit ähnlichem Blick wie ich bei mir habe; zwei Fetzerl müssen es sein, nicht nur weil ich danach süchtig bin, sondern auch um Füsun nicht zu beleidigen. Ich kann mir doch nicht alles zeigen und von Muzo vorführen lassen, wie einfach das Handeln geht und dann ohne was abziehen. Das wäre doch unhöflich, finde ich! Lorenz verkrampft sich und hat gar keine weltlichen Bedürfnisse mehr.)
Bilder und Beschreibung:
katholischer Besatzer vor dem Haus der Jungfrau Maria
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Deniz hat Zutrauen zu Hedi gefasst
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geschrieben am Dienstag, 03.07.07
Montag, 2.7.,s schlafen wir länger, auch im Vergleich zu einer Arbeitswoche in Wien. Nuriye, so heißt die Wirtschafterin, deren Name ich nicht und nicht behalten will, verwöhnt uns mit Frühstück. Dann fahren wir mit dem Minibus zum Basar, genauer zum Migros, den uns Muzo so empfohlen hat. Die Sachen sind urteuer dort, wir kaufen nur ein paar Getränke und Zahnpasta. Noch für einige Zeit zum Strand. Dann speist uns Nuriye mit gefüllten Paprika, wie gewöhnlich deliziös. Da hilft dann nur noch eine Siesta. Hedi spielt dann mit Deniz im Garten und unterhält sich mit Nuriye mit Hilfe des Wörterbuchs. Ich sitze am Computer. Schließlich ruft Füsun am Handy, das mir Muzo gegeben hat, an: Wir sollen um 7 am Eingang zu Scala Nuova sein, wir können mitfahren zum Konzert nach Ephesos, das für ein Kreuzfahrschiff voll mit feinen Pinkeln veranstaltet wird. Wir sind eingeladen. We dress up und sind schon zehn Minuten vor der Zeit dort. Unter den Touristen sind ihr die „normalen“ Leut lieber, die ihrem Schirm nachlaufen und zur Stelle sind, wann sie es ansagt. Heute hat ihr ein gstopfter Amerikaner gesagt, er wird sie zum Lunch einladen, wenn sie am Vormittag ihre Sache gut macht. Sie findet das demütigend. Füsun stellt uns einen Guide vor, der in Deutschland studiert hat und in Wien mit seiner österreichischen Frau in Hetzendorf wohnt. Ich halte ihn für einen Deutschen, er ist aber ein Hiesiger. Wir setzen uns in den Autobus, die feinen Amis treffen tröpferlweis ein. Los geht’s. Die Gegend kennen wir allmählich, die Küstenebene, die in der Antike eine Meeresbucht war, die Hügel um Ephesos. Wir haben Sonnderbehandlung, keine Drehkreuze, wir dürfen über die beleuchtete Via marmorata gehen, die am Vortag für die normalsterblichen Touristen gesperrt war. Es dämmert, die Beleuchtung ist extrem romantisch, irgendwie schon kitschig. Aber auf jeden Fall aufgesetzte Kulisse sind die beiden Legionäre und die Tunikatribunen, die auf dem letzten Stück Spalier stehen, und prompt eilen Leute zu ihnen zum Foto, so wie die Plebs vor dem Kolosseum in Rom. Die Celsus-Bibliothek ist einfach prächtig, auf dem Vorplatz weiß verhüllte Stühle um Tische, irgendwie klassisch griechisch gekleidete junge Leute stehen mit Körben von Obst, verteilen das Konzertprogramm, gehen herum und schenken Wein ein, auf den Tischen steht Körndlknabberzeugs. Ein fülliger Funktionär steht oben auf dem Treppenabsatz vor dem Mitteltor und hält eine launig schleimerische, zugleich klassisch mythologische Ansprache an die Leute, deren Besuch eine Ehre für sein Land sei, von der wir aber den größten Teil nicht verstehen, weil wir ganz hinten Platz genommen haben. Das Kammerorchester, ein Teil des staatlichen Orchesters von Izmir, war auf das Publikum eingestellt und gab sein Entsprechendes, das sicher vom Besten weit entfernt war. Aus irgendeinem Grund gab es enthusiastischen Beifall von einigen. Andere hatten von vornherein abseits auf den Ruinen Platz genommen. Außerdem mischten sich einige Katzen mit Gejaule ein und zogen etliche belustigte Aufmerksamkeit auf sich, umso mehr, als sofort seitens der Veranstalter versucht wurde, die Tiere mit Futter anzulocken und ruhig zu stellen, was aber nur zeitweise gelang. Vom Wein milde gestimmt gaben wir uns der Szenerie hin, so gut es eben gelang. Als wir unten den Letzten zurückgingen, war unsere Stimmung beinahe wirklich schon romantisch, das Personal hätte vielleicht nur noch die Lichter ausschalten und ohne uns heimgehen müssen. Das Publikum bestieg wieder die Busse, wir kamen schließlich auch noch als letzte nach, bestätigten auf jede Nachfrage, wie toll es gewesen sei und fuhren wieder zurück nach Kusadasi. Füsun eilte mit uns noch durch das beginnende Nachtleben zu ihrem Parkplatz, zeigte Hedwig ein Lokal, wo sich Touristinnen mit einheimischen Lovern versorgen können, das kurdische Restaurant, wo gerade ein paar Leut Show tanzten, ist auch mir aufgefallen, was da aber wirklich los war, blieb unklar. Füsun war hundemüde, seit sieben Uhr im Dienst und nur noch fähig, ihrer Lieblingsschnulze aus dem Kassettenrecorder des Autos zu lauschen. Gute Nacht. (So treffend könnte ich das nie im Leben darstellen – daher hier keine Randbemerkung außer dieser! Bloß die Wörter Kulissen, Masken, Theater und die Fragen, was dahinter steckt und ob ich das wirklich wissen möchte, füge ich hinzu.)
Bilder und Beschreibung:
Hedi auf dem Weg zum Meer
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Long Beach mit Sand, Leuten, und Anadyomene
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„Unser Haus“
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Ephesus am Abend
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Heute, Dienstag, 3.7.,, und damit komme ich endlich in die Gegenwart meiner Schreiberei, waren wir sehr geruhsam. Nuriye war schon da, als wir runtergingen, und versorgte uns beim Frühstück, weil sie das wohl für ihre Pflicht hält oder weil es seit langem ihre Gewohnheit ist. Bis zum frühen Nachmittag sahen und lagen wir auf dem Strand herum, von der fürchterlichen Hitze war nichts zu spüren, ich zog sogar mein Leiberl an, weil es sonst zu kühl gewesen wäre. Marcuses Triebstruktur und Gesellschaft beginnt zu mir zu sprechen, ich komme aber nur langsam weiter. Ein paar Fotos mache ich auch, Hedi geht lange den Strand entlang bis zur Dutch Mill, einem Reisebüro, wo uns Füsun günstige Arrangements nach Milet und Didyma besorgen will. Sie ist ganz happy, was auch mich mitreißt. Uli hat auch geschrieben, dass es ihm gut geht, das färbt auf mich ab. Salat und Ayda Chez Maurice, dann nach Hause, wo Nuriye mit Deniz spielt, die vom Kindergarten schon längst heimgekommen ist. Hedi spielt mit der Kleinen, ich geh rauf und schreibe an diesem File. Siesta. Als Hedi wieder runtergeht, ist Nuriye ziemlich mies beisammen, zeigt auf ihren Bauch. Ihre Tochter und ein Mann kommen, holen sie ab, um sie ins Spital zu bringen. Deniz schläft noch, Hedi übernimmt sie. Bald kommen Muzo und Füsun. Nuriye gehe es besser, es sei nur ein Magenkrampf gewesen, sie habe zu lange nichts gegessen. Mit dem Magen hat sie’s, sagt Hedi, das sehe man ihr an. Hedi macht einen Kuchen im mickrigen Rohr, das in der Ecke steht. Im letzten Augenblick brennt noch ein Stück an, sie schneidet es weg, der Rest findet regen Zuspruch der Familie. Unser Gröstl weniger. Wir werden morgen noch dran essen. Muzo steuert seinen Gin-Longdrink zum langen Abendessen bei, Hedi und ich, vor allem aber Hedi und Deniz tanzen zum Neujahrskonzert 2007, das wir als Geschenk mitgebracht haben. Schließlich wollen Hedi und ich noch ein wenig spazierengehen, aber Muzo verführt mich zu Limoncello, das er inzwischen selbst zu produzieren begonnen hat (Limonenschalen, Wodka, nach 40 Tagen Zucker, dann noch 50 Tage). Drei Sorten kosten wir durch, Hedi ist schon nach der ersten ausgestiegen. Schließlich doch noch Spaziergang. Es ist ein reiches Viertel, immer wieder sitzen Leute auf den Terrassen, Hedi fürchtet schon, es könnte so ausschauen, als würden wir dauernd durch Wohnzimmer spazieren. Vor einem Haus Trommelwirbel und Flötenklang um halb elf. Niemand regt sich auf. Die beiden Musikanten gehen weiter, spielen uns auf, weil wir dastehen, wir ergreifen sozusagen die Flucht – code inconnu. Zu Hause geben wir der Freundin, die grad bei Füsun auf Besuch ist, die Hand und gehen rauf. Ich versuch vergeblich Skype zu installieren, Hedi legt sich nieder, ich schreibe (jetzt bin ich wirklich in der Gegenwart), sie liegt grade bequem auf dem Rücken und schnarchelt ein wenig. Und ich hör auf und warte, bis ich wieder was zu schreiben hab bzw. die Zeit find, hier Bilder einzufügen.
Bilder und Beschreibung:
Hedi im Zimmer
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und wieder einmal Long Beach
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geschrieben am Donnerstag, 05.07.07
Gestern, am Mittwoch, 4.7.,, ist Nuriye schon wieder da, als wir runtergehen. Sie hat Gastritis, hört Hedi und meint, das komme von ihren Sorgen, dass sie von ihrem Mann geschieden oder getrennt und ihre Tochter mit Kindern geschieden und arbeitslos sei. Das alles hat sie mit ihrem Wörterbuch schon herausbekommen bzw. zusammengereimt. Auf jeden Fall sehe ich, dass sie der dienstbare Geist hier ist, die auf jeden Laut eines Familienmitglieds in Laufschritt verfallen kann. Beim Frühstück sitzt Füsuns Freundin auf dem Sessel, den Nuriye sonst hat, daher trinkt sie ihren Tee stehend. Mir kommt vor, auch diese ihre Lage ist nicht gesund. Deniz fährt mit Mu in den Kindergarten, Füsun ist schon längst aus dem Haus, die Freundin ist auch mit Muzo gefahren, wir machen uns auf den Weg zum Reisebüro Dutch Mill, wo uns Füsun angekündigt bei Hulya, die sich für die schönste Frau der Welt halte. So sollen wir einen besseren Preis bekommen und gleich nach Marco fragen, der Deutsch könne und von Hulya verständigt sei. Wir buchen tatsächlich gleich für Samstag, Montag und Mittwoch Fahrten nach Pamukkale, Samos und Priene/Miletos/Didyma. Marco hat gesagt, dass er nur ein bissl Deutsch kann, so reden wir Englisch, am Ende stellt sich heraus, dass er Holländer ist. Die schöne Hulya wechselt samt Freunden inzwischen ihren Platz aus dem Schatten in die Sonne – so angenehm kühl ist es heute.
Wir wandern die Long Beach entlang zurück zu unserem Platz vor Chez Maurice. Hier, näher bei der Stadt, sind die Plätze viel dichter besetzt, Hedi macht mich aufmerksam, dass die Leut verschiedenfarbige Armbänder tragen und das ihr „All inclusive“-Ausweis der hinter dem Strand liegenden Hotels ist. Auch auf unserem Abschnitt ist heute mehr los, wir finden aber leicht einen freien Sonnenschirm. Hedi geht ins Meer und ich mache wieder ein Anadyomene-Bild. Sie schaut wirklich nicht wie eine Frau aus, die auf die Sechzig zugeht. Wir aperitiveln und lunchen ein wenig beim Moritz und gehen heim, um bei der Abfahrt der Canbakans dabei zu sein. Wir sitzen im Garten, bis Muzo mit der Prinzessin kommt. Füsun beschwört uns vor allem, die Eisengitter immer zu schließen, sie sagt, sie habe große Angst vor Dieben, die könnten uns beobachten und glauben, sie hätten jetzt eine Chance. Auch im ersten Stock die Terrassentür sollten wir immer schließen, sie tut es auch immer, sie fürchtet, sonst könnte selbst Deniz gestohlen werden, wenn sie im Elternzimmer schläft. Sie merkt, dass das übertrieben wirken könnte, und entschuldigt sich, aber sie meint es wirklich ernst. Die Family fährt ab nach Marmaris bis Sonntag. Sie führen auch Nuriye nach Hause. Wir breiten uns sofort im Wohnzimmer aus, Hedi schreibt Karten.
Schließlich fahren wir nach Kusadasi. Wir wollen im Basar einen Rollkoffer kaufen. Wir schauen einen an, stehen sofort unter dem Druck eines Verkäufers, können dem aber eh nicht nachgeben, weil wir noch auf Pigeon Island wollen. Wir vertrösten ihn auf später (Lorenz tut das, mir kommt das unnötig vor), 40 Euro kommt uns nicht viel vor. Ein Stück weiter ist schon das übernächste Geschäft. Wir lassen uns sogar ins Geschäft lotsen. Auch hier gibts für 40 ein anscheinend gutes Stück. Weil wir auch hier den Verkäufer auf später vertrösten, geht der prompt mit dem Preis auf 50 Lira herunter, was nur noch 30 Euro sind.
Wir kommen zur Stelle, wo ich unlängst abends in die Altstadt raufgehen wollte. Hedi will auf mich eingehen und biegt ein wenig zu meiner Überraschung ein und wir gehen hinauf. Sie bekommt es aber sehr bald mit der Angst zu tun (ich nenne es gesundes Gefühl für etwas, was nicht passt, was die Leute hier stört, aber die blöden Touristen in ihrer einfältigen Neugierde halt tun – wir sind sicher nicht die Ersten, die hier abbiegen und dem Charme der Armut verfallen!). Sie redet von Lateinamerika, Brasilien, von wo ich immer wieder die Szene erzähle, dass Jochas Sohn im Slum abgestiert wurde, und wieder, dass wir den Leuten durch die Wohnung gehen. Auch dass es auch in Amerika No go Areas gibt und dass Muzo uns sicher abgeraten hätte, hierher zu kommen. Bei mir kommt das äußerst abturnend an und als präventive Zuschiebung der Verantwortung für alles, was hier je passieren könnte. Es ist aber zunächst eher einsam. Auf einer steil in Stufen abfallenden Gasse sitzen zwei Leute auf dem Boden und schauen hinaus aufs Meer. Eine junge Frau, ganz europäisch, ein smarter Mann begegnen uns auf einer engen, ärmlichen Gasse. Einige Häuser sind frisch renoviert, an einem wird gearbeitet. Wir kommen auf einen belebteren Platz mit Kinderspielplatz, der billig, aber intakt mit Spielzeug ausgestattet ist. Kinder tollen herum, Mütter sitzen da, Hedi merkt, dass eine eine Bierflasche in der Hand hat, ich sehe ein Kopftuch. Autoverkehr, ein Supermarkt, dann geht es wieder bergan, Hedi sagt, wir sollten rauf zum Atatürk-Denkmal gehen. Etliche Kinder mit Fahrrädern unterwegs, eins mit einem recht teuren, gefederten Citybike. Wir überlegen kurz, wo wir weitergehen, ein Teenager bietet seine Hilfe an. Hedi sagt ihm sofort, wir suchen das Denkmal (mein Gefühl – nicht nur der Angst, wie Lorenz das sieht und mir vorwirft – sagt mir wieder, dass wir denen antworten müssten – wir könnten sie, die jungen Einheimischen, die armen Schlucker, doch nicht einfach ignorieren, weil sie doch nur Geld von uns wollen. Sie stören unsere touristisch- voyeuristischen Kreise. So spüre ich das. Wollen wir das Ganze nur als Szenerie ohne Menschen, mit denen wir kommunizieren, auffassen? Ich fühl mich äußerst unwohl, es passt einfach nichts zusammen) er will uns sofort hinführen. Ich will nicht, aber es ist zu spät, er bleibt uns erhalten. Ihn brüsk zu verscheuchen ist auch nicht meins. Sein Bruder Ali, der sich als Salesman vorstellt, was den andern lachen lässt, stößt gleich darauf zu uns. Sie versuchen Small Talk mit ein paar Brocken Englisch. Wir steigen weiter rauf durch enge Gassen, schließlich schon zwischen Beton- und Steinblöcken, immer wieder Kinder und Jugendliche, viele ärmliche, dazwischen einige gut renovierte Häuser. Schließlich sehen wir Atatürk in seinem Park, von einem Zaun umgeben. Durch ein großes Loch in diesem kommen wir rein. Ein verwildertes, dreckiges, mit Glasscheben übersätes Areal, zwei pathetische kleine Figuren zu Füßen des Führers mit der großen Geste. Auf dem Plateau dahinter eine zerrissene Kleinbus-Sitzbank, auf der Kinder spielen. Unsere beiden Führer sagen, dass unter uns Kusadasi liegt, dass die Karawanserei eben diese ist und dass da irgendwo hinter den Hügeln, sie sind nicht ganz sicher wo, Ephesus liegt. Ich sage Hedi, sie soll schauen, ob sie einen Fünfer hat und ihn den beiden geben. Sie tuts, die beiden sind erfreut, sagen noch dies und das, deuten uns noch, dass wir die Straße entlang hinunterkommen und verabschieden sich. Die Straße ist aufwendig gepflastert wie eine Garteneinfahrt, auch die Wege sind befestgit, die Grasflächen ungepflegt, ausgewachsen, voll Unkraut und verschmutzt. Es gibt Ruinen von Sanitär- und Waschanlagen, auf der Seite, von der wir gekommen sind, sieht man ein baufälliges Haus mit Satellitenschüsseln und Kindergeschrei. Auf der anderen Seite wechselt die Szenerie hinter dem ramponierten Zaun vollständig, reiche Neubauten mit Swimming Pool, mit schönem Schmiedeeisen eingehegte Wohnanlagen, Ober- und Mittelklasseblocks und -villen mit Meerblick, daneben Gstetten. Wie überall hier gilt die Regel, was öffentlich ist, verwahrlost und verdreckt, dahinter breitet sich liberaler Wohlstand, so er denn vorhanden ist. Ganz kurz sind wir in eine andere Szenerie geraten, die zwar kein Slum ist, aber grell vom Tourismusrummel und den „residential areas“ absticht. Wir gehen hinunter, aus einem Restaurant ruft uns einer werbend zu, die paar Leute, die wir sehen, sind sichtlich wohlhabend, von der Straße fällt das Geländer steil und tief ab zum Meer. Eine besorgte junge Frau überholt uns, fragt uns, ob wir einen Asian boy mit einem kleinen Mädchen gesehen haben, läuft weiter hinunter Richtung Stadt. Was war das?
Wir sind verstimmt, seit wir vom Basar abgebogen sind. Hedi ist mir zum Gefallen in die Altstadt gegangen, ist aber nervös geworden, ich habe das Gefühl, sie ist dauernd auf mich losgegangen, ich hab nichts davon gehabt, sie hat dauernd Angst und lässt sie an mir aus, sie will wieder „wie alle“ sein und hält es für pubertäre Abenteuerlust und Überheblichkeit, noch was anderes als das Vorgezeichnete zu sehen und zu wollen. Ich hab in so Lagen das Gefühl, sie entfernt sich immer weiter von mir und auch von Uli. Wir gehen wieder auf Pigeon Island, ein schöner Sonnenuntergang, wir essen eine Kleinigkeit, Hedi füttert fünf Katzen, aber die Eintracht kehrt nicht wieder. Wir kaufen den Koffer um 50 Lira, trotten zum Minibus, ich suche noch eine Stunde im Netz nach Quartier in Bergama und Canakkale für die letzte Woche, der Erfolg ist mäßig und der Abend bleibt verdorben. Leider. (Wie mit berechtigter Angst, mit Gefühlen und Bedürfnissen des anderen umgehen? Das scheint mir eine wichtige Frage. Nicht: Wer ist pubertär? Wer ängstlich? Wer hat Recht? Was sollen/können wir gemeinsam tun endecken, erleben, verändern?)
Bilder und Beschreibung:
zwei Bilder aus der Altstadt von Kusadasi
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ein paar Bilder von der Höhe aus, wo rings um Atatürk alles vergammelt: Hier gehts zu den besseren Leuten
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Blick auf den Hafen
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Blick auf Pigeon-Island
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wieder einmal auf Pigeon-Island und von dort aus
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geschrieben am Freitag, 06.07.07
Gestern, Donnerstag, 5.7.,, haben wir in der Früh lang geredet, Hedi hat zwei Kommentare in meinen Text eingefügt und wir fangen an, uns auf einer neuen Ebene zu verstehen, wo Hedi mir selbständiger als bisher gegenübertritt.
Nuriye war noch da und hat gebügelt. Seit sie wieder gegangen ist, haben wir das Haus für uns allein. Wir waren doch wieder im Migros einkaufen, haben uns Mittags Spaghetti gemacht, Hedi hat Ringlotten gepflückt, ich hab mich um Quartier in Canakkale umgeschaut und die Servas-Leute von Istanbul durchgeschaut. Nachmittags an die Beach, ungewöhnlich dicht bevölkert, aber kaum Leut auf den bezahlten Liegen. Wir gönnen uns zwei samt Schirm Chez Maurice für so zwei, drei Stunden, lassen uns sogar zu trinken bringen. Die Sonne neigt sich schon. Wir gehen noch heim und kommen zum Dinner zurück. Beim Blättern in der Speisekarte genießen wir den Sonnenuntergang im Meer. Wow-Moment. Hedi bestellt Octopus-Salat und Schwertfischfilet. Ersterer ungenießbar zäh, zweites trocken und geschmacklos. Zumindest den Octopus schickt sie zurück und erhält Entschuldigung und bessere Schrimps. Mein Adana-Kebap schmeckt mir. In der Nacht ist Hedi schlecht. Aber jetzt (ich sitz seit viertel sieben auf der Terrasse) schläft sie. Sie will heute, Freitag, 6.7., fasten.
(Hab ich auch bis jetzt geradeaus 19h bis auf Tee, Käsbrot und Joghurt mit Honig wirklich. Der Gedanke an Essen vor allem Fischiges, Fettes ruft in mir Ekel hervor. Wir waren heute wirklich nur am Strand, gönnten uns wieder 2 Liegestühle, Sonnenschirm und Getränke. Das Meer ist zuerst recht wellig, angenehm zum Baden; ich setz mich in den Ufersand und lasse meine Beine von den Wellen umspülen, während Lorenz im Liegestuhl schlummert oder Marcuse liest. Umgekehrt zu der Witterund, die immer bewegter wird, sind wir heute gut miteinandergestimmt. Bis der Wind immer stürmischer wird und uns Sand in die Augen bläst, bleiben wir friedliche Badetouristen.)
geschrieben am Sonntag, 08.07.07
Für gestern, Samstag, 7.7.,, hatten wir eine Fahrt nach Pamukkale gebucht. 7.40 Uhr sollten wir bei „Dutch Mill“ sein, fast waren wirs auch. Für den Reiseleiter, einem kleinen, breiten bloß 26 jährigem Touristik-Studenten, waren auch sichtlich äußerst pünktlich. Es war nur ein Minibus, wir die ersten Abzuholenden. Dann noch zwei Stationen in Kusadasi für eine flämische Familie Papa, Mama und Teenager-Prinzessin sowie zwei junge Kanadierinnen, eine dann davon Franko, damit alles seine Richtigkeit hat. Weiter nach Selcuk für zwei ebenso junge Amerikanerinnen, eine davon sehr wichtig, die stets mit lauter Stimme alles wusste – das war so ziemlich die ganze Gesellschaft. Mehments, des Reiseleiters Englisch dient also einer Gruppe, die mehrheitlich eine andere Muttersprache hat. Er stammt aus dem Tourismusgebiet des Südostens und macht grad seinen Master. Wir fahren das Mäandertal hinauf mit einer Pause an einer Raststätte, die schon nicht mehr so allerwelt wie an der Küste, sondern durch die mit Teppischen belegten Holzbänke ein wenig spezifischer aussah. Fruchtbares Tal mit Obstpflanzungen, Baumwolle, Getreide, ärmer als an der Küste viele Häuser und Leut, aber sozusagen intakt, wenn man die sichtbare ökonomische Einbindung des Großteils der Leute so bezeichnen will. Hier sehen wir (bei der Rückfahrt) auf der Straße auch einen der Trucks, von denen Muzo geredet hat, die auf Holzbänken Kopftuchfrauen transportieren. Plache haben sie auch, was bei dem Sonnenschein nur angenehm sein kann. Satellitenschüsseln überall, zwei sind die Regel, weils wo drei sind, frag ich Mehmet. Die zwei kann er erklären: eine für Türkische, eine fürs Internationale – offenbar als kein nationales terrestrisches Fernsehen die Regel, und Kabel auch nicht.
Auffällig die vielen Polizeiposten auf den Straßen, die Autos kontrollieren, irgendwie sind die Weißkappler (Verkehr) und die Schwarzkappler (Sicherheit) involviert, z.T. auch die Jandarma, die grundsätzlich immer im MPi in der Hand haben. Vor allem bei der Heimfahrt ist das auffällig. Mehmet hat gleich bei seinem Einleitungsvortrag über die Türkei (eine Karte hängt im Minibus) das Land als sicher bezeichnet, mit einem Problem mit ein paar Kurden, die der Türkei und dem Iran was für ihren Staat im Irak abzwacken wollen. Die vielen Uniformierten auf der Straße erklärt er damit, dass das halt so üblich sei, wenn ein Minister oder Gouverneur unterwegs sei. Tatsächlich überholt uns ein PKW, eingeklemmt zwischen zwei Polizeiautos in voller Lusterbeleuchtung. Ein paar Autos dahinter eine ebenso pulsierende Ambulanz. Ob das auch was mit dem Politiker zu tun hat?
Pamukkale ist eine Mischung aus Kurort und Naturwunder, Vergnügungspark und antiker Trümmerstadt (Hierapolis wegen dem hl. Apostel Philipp, der dort eine ruinierte Grabkirche hat, aus Herapolis nach der Frau des seleukidischen Gründers). Wir beginnen in einem fashionablen Thermenhotel am Berghang, wo wir ein wenig schwimmen und in den heißen Becken plantschen, die desto heißer werden, je höher sie liegen. Ganz oben ist nur ein kleiner Springquell. Seine Temperatur liegt über 50 Grad und wär für ein Plantschbecken entschieden zu hoch. Über das noch Mitte des 4. Jh. restaurierte römisch Theater siehe das Bild der Beschreibung. Lunch mit Selbstbedienung. Ich bin schon mit der Vorspeis zu gierig, schaff es gar nicht mehr, mir ein Dessert zu holen. Alles köstlich.
Wir fahren durch das Rummelplatz-, Restaurant- und Lädendorf hinauf nach Hierapolis, die Sinterhänge sehen aus wie Gletscher. Mehmet weiß nichts davon, dass only Englishmen and mad dogs stay in the sun at noon. Er erklärt uns im Theater munter die antike Stadt, dass Kleopatra hier war, Domitian einem Tor den Namen gibt, dass so an die 60.000 oder mehr Leut hier lebten, dass wir unten zwischen antiken Säulen schwimmen können usw. Übers Theater s. das einschlägige Bild mit den Erklärungen. Unten „gibt er uns eineinhalb Stunden frei“. Wir schauen den Leuten beim Schwimmen zu und bescheiden uns mit einem Eis. Wir stapfen durch die gesunden Pfützen und lassen uns von einem Holländer fotographieren, der uns das anbietet und der dritte ist, der in diesem Urlaub Australia versteht, wenn wir sagen, wo wir herkommen. Hedi geht den Terrassenweg an den Tümpeln hinunter. Ich setz mich in den Park. Ein Türke meines Alters kommt, setzt sich her und beginnt auf Türkisch ein Gespräch. Hedi ist nicht da, also bin ich ein Türk. Es macht ihm nichts, dass ich ihn nicht versteh, er ist sowieso auf Neuss in Deutschland, wo er seit 72 arbeitet und nimmer zurückkann, weil die eine Tochter jetzt im Gymnasium ist und die andere studiert. Was soll er allein mit seiner Frau in der Türkei? Die Familie drängt ihn, er will mit mir weiter reden. Dass es so wenig Wasser hier gibt, weil es einmal ein Jahr kaum regnet, kommt von den vielen Stauseen, während die Deutschen AKWs haben. Eine Freundin der Gymnasiastin und selber ebensolche filmt uns. Sie spricht tadelloses deutsches Deutsch und ist stolz, dass sie auch ihre Muttersprache voll beherrscht, sogar schreiben kann. Hedi kommt, die Family zieht mit dem Papa weiter. Wir sitzen im Schatten und schauen auf den Glescher und die wunderschöne Landschaft. Was im Hintergrund noch vor den Bergen wie Wüstenhügel aussieht, erklärt uns Mehmet dann als abgeerntete Getreidefelder bzw. dürres Gras. Ein bulliger Wärter schreitet durch das Gelände, pfeift und deutet den jungen Leuten, meist in Bikini und Badehose, dass sie sich gefälligst von den Terrassen zurück auf die Wege scheren sollen. Er ist gelassen, aber sehr bestimmt. „Are you crazy“ hören wir ihn zu zwei Mädchen sagen, die er eben auf den rechten Weg führt.
Knapp vor acht steigen wir bei der „Long Beach“-Schrift wieder aus – first in last out. Eine Autokolonne mit einem aufgeputzten Buben, der mit einem langen Stab huldvoll winken muss, mit vielen Leuten im Festtagsornat in den Fahrzeugen, aus denen Mädchen bunte, lange Bänder halten und die Fahrer dauernd hupen, fährt vorbei. Es ist das dritte oder vierte Mal, dass wir das sehen. Das erste Mal ist der kleine sogar auf einem Esel geritten. Aus dem Führer wissen wir, dass die Armen zur Beschneidung gebracht werden. Kein Wunder, dass sie gar so ernst dreinschauen. Wir gehen gleich runter zur Beach, schöne brechende Wellen, lautes Rauschen, Hedi zieht sich unter den interessierten Blicken eines Mannes auf dem Nachbarbankerls gekonnt den Badeanzug an, läuft ins Wasser und kommt strahlend zurück. Wir gehen noch Chez Maurice im kleinen Supermarkt einkaufen, essen zu Hause eine Kleinigkeit und ich brauch noch eineinhalb Stunden, bis ich, heute endlich mit Erfolg, e-tickets für den Flug von Istanbul nach Izmir habe. Es ist zwar schon elf, aber wir gehen noch hinunter an den Strand. Viel Betrieb, Techno hämmert überall, wenn die Wellen diesen sogenannten Sound zu schlucken anfangen, kommt die nächste Quelle, und seis ein Autradio. Ein bissl sitzen wir in einer Grenzzone, wo das Meer noch dominiert, dann gehen wir durch die stillen reichen Gassen an Leuten auf den Terrassen vorbei nach Hause und ins Bett. Auch nicht schlecht.
Bilder und Beschreibung:
im Thermenhotel:
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in Hierapolis und auf den Sinterterrassen:
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geschrieben am Dienstag 10.07.07
Vorgestern, amSonntag, 8.7.,, sind wir zu Haus geblieben, wir haben das Haus für uns allein gehabt, es war sehr ruhig. Dann sind wir vor allem am Strand gelegen, haben uns wieder Liegebänke mit Sonnenschirm und die Dienstleistungen des zuständigen Mannes geleistet, wie Schirmaufstellen und immer wieder an den Sonnenstand anpassen, Bestellungen entgegennehmen und dann die Getränke bringen und sogar die Liegen mit einem kleinen Besen von Sand säubern und nach der Rückkehr aus dem Meer Wasser über die Füße gießen, um den Sand abzuwaschen. Nach dem gestrigen Gespräch mit Muzo weiß ich, dass solche Leute ausschließlich von „Kommission“ und Trinkgeld leben. Auch ein anderer mittelalterlicher Mann, der meist herumsteht und schaut, dass er Bestellungen aufreißt, gehört offenbar dazu.
Das Meer war recht bewegt, die Wellen schäumten, wir waren abwechselnd immer wieder drinnen, ein Genuss. Als wir zurückkamen, war die Family wieder da, Deniz hat sich sichtlich schon auf Hedi gefreut.
Bilder und Beschreibung:
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Gestern, Montag, 9.7.,, pünktlich 7.40 bei Dutch Mill, bestellt, aber nicht abgeholt, eine Viertelstunde lang nämlich. Weil wir das Mal davor bereits erwartet wurden, waren wir schon fast überzeugt, dass sie uns vergessen hatten, als schließlich doch der Minibus kam. Wir waren diesmal die letzten auf der Tour, nicht die ersten, keine Ahnung warum, vielleicht ist der Fahrer doch erst am Ende draufgekommen, dass wir ihm noch fehlen. Jedenfalls rein in die Stadt und runter zum Hafen. Ein Reisebüro-Mann mit umgehängtem Ausweis nimmt uns die Pässe ab und schickt uns zum Abfertigungsgebäude. Nicht nur wir haben ein bissl Angst, dass wir die Dinger nimmer wiedersehen. Ins Gelände der Scala Nuova sind wir diesmal übrigens ganz informell gekommen. Auch die beiden Guards weiter drinnen glauben es einfach, wie ihnen einer sagt, dass wir zur Abfahrt wollen. Dort warten wir am Rand einer spanisch redenden Schar junger Leute mit riesigen Koffern. Erfreulicherweise kommt der junge Mann wieder und teilt uns mit, dass wir ja noch zahlen sollten, womit er ja recht hat – auf unserem Papierl steht, dass wirs im Bus tun würden, bloß hat der Fahrer nichts gesagt. Wir zahlen also und kriegen auch gleich die Pässe und die Boarding Card. Es ist grausig mit den Grenzen. Wir stehen und warten und warten, bis wir an die Reihe kommen mit den inzwischen weltweit aufgestellten Röntgen- oder Sonstwasdingern. Wie ich das Handy aus der Tasche ziehe, ist es Muzos. Es ist zwar kleiner und schwarz statt grau, aber ich habs und hab keine Ahnung, warum. Alles, woran ich mich erinnere, ist, dass Hedi mir das Handy gegeben hat, was sie wiederum entschieden dementiert. Sie hat unseres von Muzo bloß neben Muzos von demselben aufs Schuhkastl gelegt. Ich habs jedenfalls, und Muzos höchstens „unseres“. Ich schalt seines einfach aus. Einschalten kann ichs dann nimmer, weiß ja schließlich nicht den Code. Keine Ahnung, wie dringend er es braucht, oder doch eine Ahnung, dass er es dringend braucht. Zu erörtern, ob doch Hedi schuld ist, oder doch klarerweise ich, bringt auch nichts, wir probierens kurz erfolglos , dann aber Scheibenwischer drüber, verdrängen bis zum Abend. Es dauert endlos, bis alle durchgecheckt und auf den beiden kleinen Fährbooten sind, die aufs nahe Samos rüberfahren. Schließlich legt das andere Boot ab, wir bald drauf auch. Zuerst sitzen wir am Oberdeck, dann gehen wir runter und schließlich wieder rauf, wo ganz vorn schon drei junge Männer und drei ebensolche Frauen sitzen. Die hecheln wir auf der Hin- wie auf der Rückfahrt durch. Das Ergebnis der umfangreichen Studie ist: Sie sind Rumänen, eindeutig halbseidene. Die drei Männer, die nicht grad klug, dafür aber kräftig scheinen, sind Bodyguards oder Ähnliches, auf jeden Fall gut bei Kasse, die drei Frauen haben schwache Knie beim Anblick von Marie. Von Zärtlichkeit ist höchstens bei einer was zu sehen, sie hat auch den einzigen von den dreien, der was gleichschaut und das die meiste Zeit auch demonstriert, indem er sich vor den andern aufbaut. Von Gefühl zeigen die Männer jedenfalls keine Spur, weder im Gesicht noch in irgendeiner Geste. Na, wir haben die sechse jedenfalls voll durchschaut.
Es ist jedenfalls schon Mittag, wie wir in Samos schließlich der ersten Hälfte des Gottesdienstes für den Nationalstaat entkommen sind. Ich frage mich, ob wir mit einem Ruderboot länger gebraucht hätten, und spannender wär es auch gewesen, bloß die Rumänen hätten uns gefehlt.
Ich stelle mit Freude fest, dass ich nach einunddreißig Jahren Abwesenheit von Griechenland doch noch lesen kann und das zum Teil auch noch versteh. Wir besorgen uns einen kleinen Führer und eine Landkarte in einem der vielen Geschäfte entlang der Hafenbucht, gehen ein Stück nach hinten zu einer mit glattem Stein belegten Fußgängereinkaufstraße und biegen nochmals ins Hinterland ab, wo wir tatsächlich ein kleines Kaphenion finden, wie wir es aus den Siebzigern in Erinnerung haben. Die Cafetiere (das ist aber absolut neu) akzeptiert sogar mein Griechisch und antwortet in dieser Sprache – die Kommunikation mit fünf Vokabeln klappt klaglos, wir kriegen unseren Ouzo und auch Meze. Die Geschäfte auf der anderen Straßenseite sind wie alles hier voll lateinisch alphabetisierter Wörter – die brands auf jeden Fall. Ohne beide Alphabete ist ein Grieche inzwischen wohl ein halber Analphabet. Die drei anderen Gäste sind deutsch. Hier stecken sie also, die bis jetzt vermissten Deutschen. In einem schattig-kühlen Park gleich ein Denkmal eines Freiheitskämpfers. Nach dem Mittagessen seh ich es wieder und hab schon ein paar Zeilen im Führer gelesen, auf der Parkbank dann noch zwei Seiten mehr, jetzt bin ich voll im Bild. Der makedonomachos, dessen Büste hier steht, hat seine Rolle gespielt, als im Balkankrieg 1912/13 Samos zum griechischen Königreich kam. Nach dem „Protokoll“ des Freiheitskriegs, 1832, blieb Samos nämlich unter den Osmanen, bloß autonom mit einheimischem Christengouverneur und eigenem „Parlament“, wie der Führer sagt. 1912 wurde der letzte vom Sultan ernannte Gouverneur ermordet und der „tiefen Sehnsucht nach der nationalen Einheit“ durch den Anschluss Rechnung getragen. Seitdem dürfen die Türken nur täglich nach Samos hinüberschauen, um dort hinzufahren, brauchen sie heutzutag die Schengenprozedur, gegen die ja unsere halbtägige Warterei ein Lapperl ist. In die andere Richtung scheint es beträchtlich leichter zu gehen, jedenfalls scheint Muzos Butter auf dem Brot ja von den Griechen zu stammen, die von Samos rüberkommen, um sich bei ihm die Zähne richten zu lassen. Er hat ja auch Griechisch gelernt zu diesem Zweck, allerdings ist er ein Fan vom Sprachenlernen, schließlich kann er auch Englisch, Deutsch gar nicht so schlecht und Ungarisch flüssig – Schliemann ist sein erklärtes Vorbild.
Die nächsten Deutschen, aus München und Umgebung, redet Hedi schon einfach an. Sie sitzen neben uns beim Mittagessen in einem hübschen Lokal an der Hafenstraße mit Blick aus dem Schatten aufs Meer. Die Leut, so in den Dreißigern, sind voll bestückt mit voll beladnen, tollen Rädern, sie wollen nach Naxos jetzt hier per Pedal auf die Berge klettern. Einer von ihnen ist von München bis Ancona schon mit dem Rad gefahren, mit dem Rennrad, den Trekkingesel hat er sich offenbar nach Griechenland mitnehmen lassen.
In der Nationalbankfiliale haben wir gebührenfrei Euros aus dem Automaten gezogen, nach dem Mittagessen schleichen wir noch ein bissl durch die Straßen, die sind überraschend still, die halten hier doch glatt Siesta, im Basar von Kusadasi oder in den Geschäften an den Stränden dort ist sowas wohl unmöglich. Wir setzen uns noch ins Cafe im Heiligtum der Schengenwächter, Hedi verschwindet, moralisch gerechtfertigt dadurch, dass ich ein Bier noch konsumiere. Sie ist hinter dem Haus im Meer gewatet, was ihr entschieden besser geschmeckt hat. Dann beginnt von neuem das Bußritual. Wir Deppen hätten noch gut eine Dreiviertelstunde baden können und uns dann noch immer fünf Minuten anstellen müssen. Überhaupt sehen wir jetzt im Hinausfahren eine Anzahl hübscher, kleiner Strände. Wär vielleicht doch besser gewesen, wir hätten so einen Buggy gemietet und wären ein bissl herumgefahren – zu den Stränden
geschrieben am Donnerstag 12.07.07
die wir beim Herfahren nicht bemerkt hatten bzw. erst dann auf der Karte sahen. Polykrates hat auf der anderen Seite residiert und wenigstens mit einem langen Tunnel im Stein was Haltbares hinterlassen. Aber Schillers Gedicht gefällt mir sowieso besser.Mit Muzo am Abend kurz noch über die sichtbaren Unterschiede geplaudert. Ich finde Samos entschieden reicher, sie verschandeln die Gegend nicht so tollkühn wie die Leut hier auf der türkischen Seite: keine dieser gräulichen Solaranlagen auf den Häusern, auch nirgendwo eine Saellitenschüssel sichtbar. Muzo vermutet, sie haben Kabelfernsehen. Dass eins in den Geschäftsstraßen nicht pausenlos belästigtwird, ist wohl – so habe ich mirs überlegt – darin begründet, dass sie hier nicht Scharen junger hungriger Wölfe anstellen, die bloß Prozenten an den Stücken leben, die sie unsereinem andrehen. Muzo bestätigt das, man habe schon versucht das einzuschränken, es sei aber nichts draus geworden. Den Rest des Tags erspar ich mir, schließlich sitz ich schon in Bergama in einem ottomanischen Pensionszimmer neben der nackten Hedi, und Mitternacht ist es auch schon vorbei.
Bilder und Beschreibung:
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geschrieben am Freitag 13.07.07
Am Dienstag, 10.7., sind wir, wie schon üblich nach einem Ausflug, eher in der Gegend geblieben. Wir waren im Meer, endlich auch lange Zeit alle beide, weil wir schlicht nicht mehr so viel Angst hatten, es könnte sich jemand an unseren Sachen vergreifen. Hedi glänzt und strahlt, wenn wir zu zweit herumplantschen. Dann sind wir wieder einmal nach Kusadasi hineingefahren, Hedi blieb herunten in der Gegend des Basars, ich bin rauf in die Wohnviertel der Altstadt, kleine Gasserl, z.T. recht steil hinauf, z.T. recht alte Häuser, meistens aber mit rezenten Fenstern, ab zu sitzen alte Frauen mit weiten Kitteln oder Pluderhosen auf dem Boden der Gänge oder der Küche hinter den offenen Türen und tratschen, einmal auch eine auf einem Balkon, dann wieder eine ganze Gruppe auf der Straße, fast immer auf dem Boden, nur ein-, zweimal auf einem Schemel oder einem Bankerl. Es gibt recht viele einfache Pensionen, auch eine Pansiyon Düsseldorft, aber nur türkische Autos. Schließlich komme ich in eine Geschäftstraße mit einer Menge Cafes, Friseuren und anderen Geschäften, die alle recht balkanisch und im Vergleich zum Basar unten und überhaupt zu den Neubauvierteln rund um den Hafen viel weniger aufwendig aussehen. Dahinter folgt ein über mehrere Straßen sich hinziehender großer Markt, hauptsächlich Lebensmittel, aber auch Haushaltswaren, die Leute drängen sich dicht, viele haben Einkaufswagerl aus einem aufklappbaren Gittergestell mit einem Plastiksack. Die Auswahl an Früchten und Grünzeug ist beeindruckend, an einem Stand zähl ich allein an die zwanzig Sorten Oliven. Schließlich wird die Bebauung neuer und reicher, sogar ein neues Vierstern-Hotel steht hier und gleich ein Kelim-Verkaufsstand davor. Als es wieder bergab geht, orientier ich mich an der Sonne und gehe Richtung Westen zum Meer. Leute kommen mir entgegen mit Badesachen, schließlich bin ich unten an Ladies‘ Beach, ein ganzes Stück außerhalb, durch Felsen an einem Rückweg den Strand entlang zur Güvercinada gehindert. Ich steig in einen Minibus, der mich dorthin bringt. Hedi kommt ein paar Minuten später. Wir gehen durch die Wohnviertel am Hafen, auch hier ab und zu noch ein paar ebenerdige oder einstöckige ältere Häuser, aber die neuen und hohen dominieren eindeutig. Wir kommen an Muzos Ordination vorbei, auch an den hier wie jetzt überall, wo wir waren, über die Straßen gespannten Parteiwimpeln, den schließlich ist Wahlkampf, und hier im Westen scheinen die nicht islamischen Parteien, die Kemalisten von der CHP, die Konervativen von der DP und die „Hitler-Leute“ (Muzo) von der MHP stärker präsent zu sein als die regierende AKP Erdogans. Aber der Repräsentant der CHP, dessen Konterfei hie und da zu sehen ist, ist nicht grad ein Sympathler. Nach einigem Suchen finden wir die Abfahrtstelle unseres Minibusses am Anfang des Basars, warten eine Zeit lang und fahren heim.
Bilder und Beschreibung:
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Am Mittwoch, 11.7.,der letzten bei Dutch Mill gebuchte Ausflug, der nach PMD, wie die Branche zu sagen pflegt, nach Priene, Miletos und Didyma. Wir sind 9 Uhr pünktlich da, das Büro sperrt grad auf, Marco bieten uns Sessel und Wasser an, wir werden nämlich erst um halb zehn abgeholt. Mit small talk vergeht die Zeit, sein Englisch ist nicht grad prächtig. Der Minibus kommt, Mehmet ist wieder Tour Guide. Zuerst wieder nach Selcuk Leut abholen. Diesmal sind außer uns mit ein serbisches Paar in unserem Alter, ein älteres australisches, ein junges dänisches und ein einsamer Engländer aus Kent. Die lingua franca für drei native speaker und sechs Angelernte mit einem ebensolchen Führer.
Priene sehr eindrucksvoll, weil gut erhalten. Das Bouleuterion als rechteckiges Odeion, eine byzantinische Kirche, Stadtmauer usw., oh ich muss endlich weiterkommen, damit ich frühstücken gehen kann, Deutsche sind die Ausgräber, pädagogisch gut mit vielen Tafeln aufbereitet, die z.T. ja auf meinen Bildern nachzulesen sind.
das Milet von Thales, heute trotz seiner einst vier Häfen wie viele dieser Städte weit vom Meer, siehe die Bilder; Didymas Apollon-Orakel-Tempel ist eine Wucht, riesig und völlig ungewöhnlich mit Innenhof und mystischen Abgängen, voll erhalten, als Cella angelegt, ein oder zwei Hamams als Fortsetzung der Thermen sind auch noch da, endlich find ich einen Votivaltar, auf dem ich einigermaßen flüssig was lesen kann: für agathe tyche des Septimius Severus hat da wer gestiftet, also ziemlich spät schon, denn seit dem 4. Jh., sagt Mehmet, hat man die Bautätigkeit eingestellt trotz mangelnder Vollendung, die Perser hatten die Orakelpriesterfamilie schon im 6. entführt und noch im 3. Jh. nach Chr. wird die Anlage, von einem Erdbeben, glaub ich, zerstört. Den Störchen auf der Kuppel der nahen Moschee könnte das eh nur recht sein. Es siedeln aber keine auf den zahlreichen Säulen. Komisch. Wenig los in den Ruinen und bei den Buden, die dazugehören. Aber das Mittagessen bei Milet in einem schönen nicht aufgemotzten Restaurantgarten am Strand war köstlich. Selbstbedienung, viel Gemüse, Tarhonye, Nudeln, Fisch. Zwei Bier auch, Hedi hat sich gar nicht aufgeregt, das Meer hat ihr zu gut gefallen. Wir reden ein wenig mit den Serben und dem Mann aus Kent, der in seinem Redefluss keine Rücksicht auf uns Angelernte nimmt.
Muzo hat für uns zum Abschied Lammfleisch gemacht und einen guten Rotwein mit der Bibelstelle von der Hochzeit von Kanaan (Warum zuerst den schlechten Wein usw.) aufgemacht, den er von einem Patienten hat. Füsun isst nicht mit, zieht sich ins Wohnzimmer zurück, irgendwie ist sie auf Muzo sauer. Hedi sagt, das ist was latent da, sie hat uns ja tatsächlich gesagt, dass Muzo sie „forced“, den Lehrerjob aufzugeben und Guide zu werden. Hedi sagte sie auch, dass sie lieber nicht arbeiten würd.
Bilder und Beschreibung:
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Donnerstag, 12.7.,, unser Abreisetag aus Kusadasi. Muzo hat uns immer wieder angeboten, doch noch länger zu bleiben, aber auf jeden Fall sollen wir wiederkommen. Wir möchten, wenn Hedi nimmer arbeitet; auch sie wollen wieder nach Wien, bloß heuer nicht, weil sie ein Haus oder Wohnung kaufen wollen, zur Vermietung, als Zubrot in der Pension. Muzo sagt, er kriegt 300 Euro vom Staat, 500 aus der privaten Vorsorge. Deniz hat ein bissl Fieber, sie geht aber trotzdem „to school“. Füsun muss heut nicht arbeiten, sie fährt mit Deniz‘ Harn ins Labor, sie bietet an, uns dann zum Otogar zu bringen, wir lehnen dankend ab. Sie verabschiedet sich von uns. Deniz posiert possierlich für die letzten Fotos. Wir frühstücken mit Muzo und mit Nuriye, Abschied von Muzo und der Kleinen, Zusammenräumen, Adressentausch mit Nuriye. Minibus, 12.00 klimatisierter Bus nach Izmir, der „Steward“ serviert Mineralwasser, Parfum für die Hände, das ist Service. In Izmir fragen wir nach dem Bus nach Bergama, kaum sind wir drin, fährt er auch schon ab. Mineral, Cola, Fanta (oder so was) und Parfum; ein Moslempaar schräg vor uns, er liest Zeitung, ich schau ein paar Wörter mit.
Ankunft in Bergama, fragen am Otogar nach der Pension Athena, Personal kein Englisch, ein junger Mann gibt Auskunft, we walk, es ist weiter als vermutet, Teenager mit Englishbook gehen vorbei, ich frage, sie reden gern, wissen nichts, aber ein Mann holt Taxi, das uns für 5 Lira hinbringen soll und es auch tut. Schönes altes Haus, Pluderhosen- und Kopftuch-Frau mittleren Alters begrüßt uns freundlich, holt den jungen Chef. Der heißt Aydin und kann Englisch, hat ja mit mir auch schon korrespondiert. Lorenz? fragt er. Wir bekommen das 3er Zimmer, das im Internet beschrieben war, mit türkisem Holzplafond und Ausblick auf die Akropolis. Klo und Bad ein Stück weg, groß und sauber. Aydin fragt gleich, ob wir mitwollen nach Allianoi (nicht gehört), zwei junge Leute aus Sweden oder Switzerland, naja er habe sie eine Art Deutsch reden gehört, wird er hinführen und eine Forellenzucht mit Essen gibt’s in der Gegend auch. Wir wollen, packen aus, gehen runter. Das Paar sind ein junger Schweizer aus Zürich, der gestern mit anderen Schweizern einschlägig geredet hat, aber mit seiner Freundin, einer Turinerin vor allem Französisch redet. Ein junger Quebecois mit ebensolcher Pariserin kommen noch dazu. Die beiden letzteren bekommen Aydins Scooter, wir andern fahren im Renault voll Schwung rauf in die Berge, viel aufgeforstet, trockenes Gras, ganz schön weit bis Allianoi, wir fahren aber erst weiter zu den Fischen, kommen vorbei an kleinen, armseligen Bauernhäusern, an Bäuerinnen, gekleidet wie bei Ginzkey, und Bauern auf Eseln, durch ein Dorf mit Geschäft und Wirtshaus, immer weiter durch den Wald, steil runter und rauf, schließlich in ein enges Tal, dort die Forellenzucht, mit Betonwannen, Wasserfall, aus Rohr gespeist, ein paar Tische auf der Terrasse unter Apfelbäumen. Aydin bestellt für uns Fisch, Wasser und Salat. Köstlich! Nach einiger Zeit fällt der Strom aus, der junge Züchter startet die Dieselpumpe, die Forellen sollen ja nicht ersticken. Der Strom kommt wieder, Gottseidank, andere Gäste treffen ein, das Auto aus den Niederlanden, die Türken drinnen also auch. Die Forellen samt Salat sind äußerst preiswert, zu trinken gibt es Wasser, und das gratis.
Wir fahren über Berg und Tal zurück nach Allianoi – siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Allianoi. Die Erklärungstafel sagt, dass hier das Kurzentrum ausgegraben wurde, dass Aelius Aristides in III,6 beschrieben hat. Es ist eine Notgrabung der 1998 entdeckten Anlage. Dabei war das Hamam samt Hotel in den antiken Überresten hier immer in Betrieb. Bald schon wird hier ein Stausee sein, sagt Aydin. Die Staumauer ist auch schon fertig und deutlich im Hintergrund zu sehen. Eintritt ist verboten. Aydin sagt, wir sollen dem Wächter ein paar Münzen geben. Er hat dann auch wirklich nichts dagegen, dass wir überall herumstapfen. Hedi und Chiara sind begeistert, wir können überall hin, wo die Ausgräber der Thrakischen Uni hingegangen sind. Die großen ausgegrabenen Räume und ihre Säulen und Mauern stehen knietief im Grundwasser, stellenweise sehen wir die Mosaike durch die Algen. Die Schildkröten haben in den Tümeln ihre Freude. Wir stapfen durch die Kryptoporticus und kommen zur bis 98 bestehenden Thermalbadanlage, der große Saal dampft vom heißen Wasser, die Hitze unter dem Plexiglas ist beträchtlich. Im Oktogon nebenan ist die Temperatur des Wassers höher, als unsereins es aushält. Chiara meutert heftig über das bevorstehende Schicksal der Scavi, Hedi schließt sich ihr an, Aydin erzählt, der Ausgrabungsleiter habe ihm gesagt, es gebe hier noch so 50 Badesäle auszugraben. Aber die Barrage sei ein Geschäft. Wer das machen wird, frage ich auf der Heimfahrt. „Government“, sagt er, und mit heftiger Geste: „Fuck Government“. Die Gegend liegt im Licht des Sonnenuntergangs. Märchenhaft. Trotz der Regierung und der kommenden Flut. Am Abend sitzen wir noch bei Tee im Hof, die sechs Gäste, Aydin, auch der junge Mann, der Englisch konnte am Otogar kommt her, er betreibt die Pansiyon Gobi oder so. Es geht Französisch, Deutsch und Englisch durcheinander, die junge Pariserin setzt meistens ihre Sprache durch. Wir gehen noch ein bisschen in die Stadt. Ganz anders hier als in Kusadasi, sicher repräsentativer für die Türkei, die Cafes sind voller Männer, auch der Frisör ist noch im Dienst um elf, die Geschäfte offen, nur dort sind Frauen zu sehen. Wir gehen zurück und schlafen.
Bilder und Beschreibung:
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Die Nacht auf Freitag, 13.7., ist stürmisch, dafür nicht heiß. Die Vorhänge bauschen sich heftig, einmal springt auch die Tür vom Luftzug auf. Hedi schläft schlecht. Der arme Hund an der Kette an einem Anhänger, an dem wir auf dem Heimweg vorbeigekommen sind, hat die ganze Nacht gewinselt. Den Traktor, der in aller Herrgottsfrühn gestartet ist, habe nur ich gehört. Vom Duschen und Zähneputzen kommt Hedi in der Früh nicht und nicht zurück. Ich muss doch auch und geh schließlich los. Bad und Klo sind leer, erfreulich, bloß von Hedi ist nur Handtuch und Zahnputzzeug zu sehen. Sie selber ist oben auf der Terrasse mit Blick auf Bergama und Pergamon und plaudert mit Aydin, der draufgekommen ist, dass sie seine Mutter sein könnte. Schließlich war sie schon 1973 hier, allerdings war er da schon drei Monate alt, und auch hier zu Hause.
Schließlich frühstücken wir alle sieben ausgiebig. Räto fängt an von der Schweiz und der EU, Hedi und ich steigen ein. Dann fragt mich Benjamin Quebecois über eine Timaios-Stelle, ob die schon vor Plotin wer kommentiert hat und ob was ich zu Platons Quellen sagen könne. Ich muss passen, wir reden noch ein wenig über zyklische und messianische Zeit, über Christentum, Judentum und heute. Mit Aydin kommen wir auf seine Aufkleber im Foyer und im Hof – „Der Zeusaltar gehört Bergama. Wir möchten ihn zurück“, genauso, deutsch – zu sprechen. Beim Tee hatte Benj. über den Honig erzählt, von dem Aydin gestern einem griechischen Gast sagte, der sei das türkische Geheimrezept, warum sie in jeder Schlacht die Griechen geschlagen hätten. Aydin hatte noch den Scherz angefügt, dass man den Griechen eine „ihrer“ Inseln am Horizont zeige und dazu sage, dass sie auf der falschen Seite stünden. Jetzt kriegt ers zurück: Der Pergamonaltar sei in Berlin besser aufgehoben als hier bei den Barbaren. Aydin findet das nicht lustig, Benjamin geht und ich kriege einen Vortrag, dass die EU besser der Türkei beitreten soll, damit sie lernt, was Zivilisation ist. Das Gerede in der EU über Beitritt ja, Beitritt nein, über den Genozid an den Armeniern, der keiner war, wie jeder Politiker auch im Westen wisse, folge einem Masterplan, die Türkei unter Druck zu setzen und dazu zu bringen, die Hosen runterzulassen. Außerdem sei Hedi viel aufgeschlossener als ich, die schon in den Siebzigern sich die Welt angeschaut und ihren Horizont erweitert habe. Er kommt wieder auf die Politiker hier zu sprechen. Die AKP sei das gleiche Gesindel, und er kriege für seinen Pensionsbau – das hunderfünfzigjähre, zu restaurierende, eigentlich neu zu bauende Haus nebenan, das hiesige ist bloß gemietet – keine Subvention, weil er gegen den Rat seines Vaters immer sage, was er denke. Und die Beamten, die aus Izmir da waren, haben sich von ihm heim- und in Izmir herumkutschieren lassen und ihm dann erst nichts gegeben, weil er wieder den Mund nicht gehalten habe.
Chiara hat Aydin so weit, dass er sie und ihren Räto auf zwei Raten mit dem Scooter zum Askleipieion führen würd. Da Hedi meint, wir könnten auch dorthin, ruft Aydin ein Taxi, macht 30 Euro aus für hinführen, warten, die beiden Jungen zum Otogar und uns dann auf die Akropolis bringen. Das Asklepieion ist ein altes Heilzentrum mit Tempel, Säulengängen, einem Tempel nach dem Vorbild des Pantheon und aus derselben Zeit. Auch einen weiteren Rundbau mit unterirdischem Rundgang gibt es, für den Heilschlaf und vielleicht weitere Kurzwecke.
Oben tollt ein junger Hund um seine ausgemergelte Mutter, Hedi hat auch den Vater ausgemacht. Der junge Mann, der ihr ein Kleid verkauft, verspricht, die Hunde brav zu füttern. Chiara hat sich einer englisch-italienischen Führung angeschlossen, Räto und ich setzen das Gespräch vom Frühstück über die EU, die Schweiz, die Festung Europa und den Rest der Welt fort. Ich freu mich, dass da wer ist, den interessiert, was ich zu sagen hab.
Der Taxler wartet wirklich schon am Eingang. Otogar und die Straße rauf zur Akropolis. Weit aber nicht. Das Taxi geht ein, der Fahrer telefoniert, hängt das Abschleppseil an, macht uns klar, dass sein Kollege uns übernehmen wird. Es dauert. Hedi wird ungeduldig, sie sagt, ihr tun weder die Zehen weh noch habe sie schlechte Sandalen, sie werde jetzt zu Fuß weitergehen, und vielleicht seien es ja nur noch zehn Minuten. Ich will nicht allein dableiben, da sagt sie, sie habe halt nie eine Chance, mich zitierend. Naja, ich geb dem erfreuten Taxler die 30 Euro und geht halt mit. Nach einer halben Stunde sind wir oben. Der Wind ist eher schon ein Sturm. Die deutschen Ausgräber haben eine Menge Erklärungstafeln verfasst, auf Türkisch, Deutsch und Englisch. Wir gehen rauf zum weithin leuchtenden weißmarmornen Traianeum für die Divi Tr. und Hadr. und ihren Chef Iuppiter. Wir steigen hinunter in die Terrassenunterbauten, ich les die Erklärungen, dass sie so – anders als die Attaliden – vom Erddruck unabhängig bauen konnten. Der Platz mit dem Athenatempel, auf dem einst die Statuen der sterbenden oder sonstwie besiegten Galater standen, auch Augustus hatte sein Denkmal und dahinter die Säulenhalle mit der Bibliothek für die 200.000 Rollen. Viel mehr Grundmauern, Säulenstümpfe und eine Begrenzungsmauern sieht man nicht. Lebendig und unverständlich ein Olivenbaum mit Bandschleifen. Drauf geschrieben war nur, was vielleicht von irgendeiner Vorverwendung Aufdruck war. Unterhalb zwischen zwei ausladenden Bäumen, in deren Schatten wir uns flüchten, ein paar Stufen vom legendären Pergamonaltar. Ein deutscher Archäologe hat den Großteil der Steine aus der byzantinischen Stadtmauer geborgen, identifiziert und nach Berlin entführt, ein paar Steine hatte der Sultan schließlich auch bewilligt. Eine ungarische Reisegruppe lauscht oder lauscht nicht einem türkischen Guide, der in bestem Deutsch erklärt, was der Reiseleiter auf Ungarisch dann wiederholt uns ausschmückt. Der Führer beschwert sich über die Deutschen, die den Altar nicht zurückgeben und nicht einmal Gipsabgüsse bewilligen. Aber was die Russen aus Berlin mitgenommen haben, das wollen die Deutschen zurück, weil die es ja gestohlen haben. Irr ich mich, oder schaut der Guide dabei immer wieder zu uns rüber?
Wir trinken Tee und Kaffee retour beim Eingang, schauen auf der Tafel, wo die neuen Grabungen im Wohnviertel sind und steigen die Hauptstraße hinab. Die Deutschen haben Auditorium und einen Kultraum im Zustand des 3. Jh. restauriert und überbaut, ein Stück weiter ein großes Peristylhaus aus dem Hellenismus, ebenfalls im Zustand der Kaiserzeit. Spätere byzantinische Verbauung (bis 14.Jh.) wurde, so vorhanden, dokumentiert und entfernt. Mosaiken (vor allem eins mit Masken, ein Tiger und ein Leopard, Kampfhähne) sehr schön, auch Wandmalereien zu sehen. Der Ausblick aufs Tal ist prächtig. Wir gehen langsam runter, ein Mann winkt uns noch zu einer Überbauung, unter der – wieder ziemlich verwahrlost – weitere, einfache Mosaike zu sehen sind. Wir verlassen durch ein Loch im Zaun die Ausgrabung, wer kein Geld hat, kann dort gratis rein. Durch enge Gassen mit kleinen Häusern, alt und neuer, kommen wir tatsächlich leicht zum Restaurant, das uns Aydin empfohlen und von der Terrasse aus gezeigt hat. Im Garten ist es gar zu stürmisch, wir gehen hinein, es ist recht fein. Wir essen Salate, Gemüse, Käseröllchen, Hühner- und Lammspieße, trinken Ayran, Mineral und Wein. Es war wirklich gut, um 26 Euro ist das bei uns in Wien sicher nicht zu haben. Heim gehts, Hedi wäscht die Haare, ich sitz im Bett und schreib, jetzt aber hör ich auf.
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geschrieben Samstag, 14.07.07
Heute, Samstag, 14.7., neue Frühstücksgesellschaft, eine afroamerikanische Familie mit kleiner Prinzessin, armem Sandwichteenagermädchen und College-Boy. Hedi ungemein kommunikativ, die Eltern, dann auch der später erschienene Youngster steigen gern drauf ein. Ein französisches Paar ist auch noch gekommen, die sind aber recht müde. Der Amipapa ist am Konsulat in Istanbul, die Mama stammt aus Brasilien, der Bursch studiert in Columbus, Ohio. Der Frühstück spielt wieder alle Stückerl, Hedi lobt den strahlenden Aydin über den grünen Klee. Wir räumen ab und packen, ich such im Internet (Aydin stellt seinen Laptop den Gästen zur Verfügung) in meinen Mails noch den Namen und den Weg zur Pension (Yellow Rose heißt sie) in Canakkale. Um 11 sitzen wir im Taxi, dann gleich auch im Minibus nach Ayvalik, am Meer gegenüber Lesbos. Wo das Meer, dort wachsen die Siedlungen immens, sichtlich viele Zweithaushaufen und wohl ebensolche Appartmenthäuser. Wir steigen um nach Edremit, dort nach Canakkale. Den Golf von Edremit entlang, hie und da recht belebte Schotterstrände, rege Landwirtschaft, hier auch nicht wenige Fuhrwerke mit Mulis, rechts von uns Homers Idagebirge, wie uns der Führer lehrt. Ganz schön weit haben da die flüchtigen Trojaner aus der brennenden Stadt laufen müssen, wenn das stimmt. Wir biegen ein nach Norden in das Waldgebirge. Unmengen Oliven, eingelegt in große Gläser, und sonst noch etliches Gemüse wird am Straßenrand feilgeboten, jede Menge kleine Schenken und Restaurants in wunderschöner, südländischer Berglandschaft. Schließlich gehts hinab in die Ebene, wo Troja liegt, 5km links von uns, steht auf einem Wegweiser ein Stück noch vor Canakkale. Dort angekommen, halten wir am Otogar Ausschau nach dem Uhrturm, dem zugewandt wir zwei Minuten nach links zur Yellow Rose gehen sollen. Kein Uhrturm weit und breit. Also Suche nach einem Menschen, der Englisch kann und die Pension auch kennt. Einer, der nicht viel versteht, erkundigt sich bei einem zweiten, der uns die Straße weist, die wir entlanggehen sollen. Tun wir, nach fünf Minuten fragen wir weiter. Der Mann deutet freundlich „die Straße weiter“, der nächste, ein junger Mann, macht gern den Führer – und bringt uns tatsächlich hin, gradaus, links, rechts, links oder so. Er kriegt 2 Lira, freut sich und geht. Die Rezeption ist grad nicht besetzt, ein Mädchen telefoniert nach dem Englischkundigen, er kommt früher als angekündigt und bringt uns in den Garten zum recht bescheidenen Zimmer. Die Tür schließt, der Schlüssel hat tatsächlich Sinn, aber ottomanisch ist hier nichts – bei Aydin war es umgekehrt. Ich nutze das „free Internet“, schreibe Muzo, er soll uns mitteilen, wo sein hiesiges Lieblingsrestaurant ist, bedank mich noch einmal bei ihm und bitte ihn, er möge den Skype mit meinen Eingangsdaten doch bitte deinstallieren, was ich vergessen hab. Ich schnapp mir noch ein Karterl mit Umgebungsplan vom Desk und wir machen uns auf. Der Uhrturm ist um zwei Ecken und die Beschreibung passt auf die Busstation bei der Fähre, so ziemlich wenigstens. Wir gehen im Hafen spazieren, finden ein von vielen Moslemfamilien frequentiertes Turko-McDonald, das aber nicht so heißt und vielleicht eine hiesige Kette ist, dahinter das Museum mit einem Nachbau eines angeblich berühmten Minenräumers von Gallipoli und der getarnten Festung von anno gleich vor dem entscheidenden Angriff des Sultans Mehmet II. auf Konstantinopel. Es ist gesperrt, ein Weißuniformierter darf Wache schieben. Ein paar kleine alte Häuser gibts noch, das meiste ist rezent, wahrscheinlich hat die Stadt heute die fünf- bis zehnfache Bewohnerzahl von der Zeit der Gemetzels von Gallipoli.
Gestern war Pide, heute ist Gemüse, sagt Hedi und nach ein bissl Suchen werden wir in einem Restaurant mit Vitrine fündig. Der Kellner hat lange Haare, ist aktiv, selbstbewusst und witzig. Hedi mag das, es schmeckt gut, auch meine „ich möchte bes köfte“, wie uns Muzo beigebracht hat (aber natürlich hab ich den schwachsinnigen Satz für mich behalten). Sogar Bier will Hedi heute trinken. Dann noch ein Spaziergang, wir rufen kurz Uli an, der tatsächlich daheim ist, und Hedi will noch ein Eis. Ich verzichte, hab keine besondere Lust drauf. Im Büro der Metrobusse, an dem wir zweimal vorbeigegangen sind, kaufen wir heute schon die Karten für übermorgen 9 Uhr nach Istanbul. Wir können beim Büro einsteigen, brauchen nicht mehr zurück zum Otogar. Hedi ist ganz checkig. Wir gehen zurück um die zwei Ecken zur Pension. Hedi schläft schon neben mir. Und die Troja-Tour von 8 bis 11.30 sowie die Gallipoli-Tour von 11.40 bis irgendwann am Abend haben wir an der Rezeption auch schon für morgen bestellt. Um 7.20 ist schon Frühstück, und halb elf wird’s jetzt gleich. Also werd ich noch Zähne putzen und dann schlafen, damit ich mein touristisches Programm nicht sabotier.
Bilder und Beschreibung:
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geschrieben am Dienstag, 17.07.07 morgens
Am Sonntag, 15.7., weckt uns mein Handy wieder einmal um halb sieben. Zwanzig nach ist Frühstück angesagt und für 8 Uhr Abfahrt zur Troja-Tour. Das Frühstück ist nach dem Aydins eine blanke Enttäuschung. Continental Breakfast heißt sowas in England. Bloß ein weichens Ei ohne Eierbecher ist noch dabei. Naja, um acht geht’s los – eine Partie gurgelnder Amis, alle ziemlich jünger als wir. Auch der Capo vorn ist einer und in seinen Zwanzigern. In einem schönen Dorf, die Häuser an der einen Straßenseite grenzen mit ihren Gärten direkt an die Dardanellen, steigt ein Mann an die achtzig ein. Die Frau, die neben ihm gewartet hat, stellt er auf Frage eines Amis mit Nachdruck in der Stimme als seine Queen vor. Diese wird mir nachher, auf der Rückfahrt nach Canakkale in ihrem Auto sagen, er war Marineoffizier bis 49, hat dann Japanisch studiert, seit 15 Jahren macht er den Tour Guide für Troja und Gallipoli. Troja ist, wie inzwischen schon gewohnt, mit Erklärungstafeln ausgezeichnet ausgeschildert, da die Deutschen ausgraben, als zweite Sprache nach Türkisch und vor Englisch Deutsch. Ein kleines Museum zur Grabungsgeschichte und zur Geschichte der zehn Städte, nachher seh ich noch die „Schliemann-Hütte“, die für den NDR-Film gebaut und dann hier aufgestellt wurde.
Unser Führer redet wie ein alter Lehrer, voll Entschiedenheit und möglichst einfach, und mit kleinen Fehlern. Was mit seiner Queen-Bemerkung begonnen hat, setzt sich in Hymnen auf die Frau- und Mutterschaft fort, als er erwähnt, dass Babys in der Küche beigesetzt worden seien und ein Schweizer Professor, Hoffmann, glaub ich, ihm erklärt habe, das komme von der spirituellen Verbindung von Mutter und Kind über den Tod hinaus. Wir Männer seien nichts plus ein bisschen Geld, verkündet er mit Leidenschaft. Wir sind überrascht, verwirrt und amüsiert. Ein Gesetz über den Schadenersatz, wenn ein junger Mann sein Eheversprechen nicht hielt, das auch vorgesehen habe, dass Frauen nichts zahlen müssen, wenn sie es tun, kommentiert er ebenfalls sehr männerkritisch. Schließlich lässt er noch Euro(!)pides im hellenistisch-römischen Odeion über die Vergänglichkeit äußerlicher Schönheit und die Beständigkeit innerer Werte vor einem Gelehrtenpublikum dozieren und erklärt uns, dass seine Frau z.B. auf diese Weise schöner als die zwei Töchter sei. Gut für die Frau, aber sind die Töchter am Ende Luder? Die Grabungen sind weit eindrucksvoller dadurch, dass unser gedruckter Führer gewarnt hat, es sei nicht viel zu sehen.
Die meisten aus der Gruppe fahren mit dem Bus weiter nach Istanbul, Hedi und ich sowie ein junges norwegisches Paar werden von der Queen, die offenbar auch irgendwie in der Branche ist – sie sagt, sie macht das alle Tage – zurück in die Yellow Rose Pension gebracht. Nach zehn Minuten geht es nämlich weiter. Wir bekommen zwei kleine Münzen für den Eingang in den Fährhafen und sollen uns drüben in Europa beim Bus der DJ-Tour melden, wo wir erwartet würden. Windige Überfahrt, Hut in Gefahr, er ist aber sehr haltbar, wir holen ihn immer wieder im letzten Moment doch noch aus dem Autobus, jemand tägt ihn mir nach, ich lauf ihm nach, wenn ihn der Wind holt wie in Troja oder ich halt ihn wie jetzt rechtzeitig fest. Strahlendes Wetter, links auf dem Berg ein Riesenbild eines Soldaten mit unverständlicher Aufschrift, hat aber was mit der Aufschrift auf dem rechten Ufer zu tun: 18 Mart 1915. Wir werden gleich erfahren, dass das der Tag war, wo die osmanische Artillerie und die massenhaft ausgelegten Seeminen den alliierten Durchbruch zur See nach Istanbul verhindert und ein halbes Dutzend Kriegsschiffe auf Grund geschickt hat. Unser kluges Buch vergisst nicht zu erwähnen, dass deutsche Offiziere kommandierten.
Drüben fragen wir uns schnell durch, es ist kein DJ, sondern ein TJ. Das schon im Internet angekündigte Lunch hatte in uns Vorstellungen von Pamukkale und Milet erweckt, es ist aber ein mageres Lunchpaket mit gestopftem Brot, ein bissl Obst und Wasser. Naja, vielleicht ist das Europa. Diesmal ist der Tour Guide wieder jung, er wiederholt alles, was er sagt, wir finden das sehr angenehm.
abends Fortsetzung
Ich sitze wieder im Bett, bloß vor dem Schlafengehen statt nach dem Aufwachen. Also weiter: Wir bekommen die Details des 18 Mart 1915 und der neun Monate danach auf den Originalschauplätzen. Der Nationalpark auf der Südspitze der Gallipolihalbinsel ist landschaftlich wunderschön – und voll von Denkmälern des alliierten Kriegsabenteuers und der türkischen Heldentaten sowie voll vom Blut von so einer halben Million Verwundeten und von den vermoderten Leichen von ein paar hunderttausend Burschen zwischen achtzehn und dreißig. Eine Katastrophe, die als Serie von Heldentaten, Pflichterfüllung und Menschlichkeit dargestellt wird, in einem Museum, auf einer großen Menge von Schautafeln sowie Inschriften aus Reden und Büchern Atatürks. Im Museum der letzte, schwulstige Brief eines jungen Offiziers an seine Mutter,deren Schreiben ihn zum Heldentod ermuntert für das Ziel, den Feinden Gott zu bringen, indem er sie möglichste zahlreich niedermetzelt. Auf den Tafeln auf den killing fields sagt ein einfacher Muselman, Verteidigung sei so gut seine Pflicht gewsen, wie Angriff die der Feinde. Der Führer redet von Anzac statt von Alliierten, ich frage nach und erfahre, dass er das Australia New Zealand Army Corps meint, das von der ersten Landung im April an die erschießende und erschossene Hauptrolle hatte. Ich merke bald, dass außer uns und zwei Japanern die anderen Minibusinsassen von down under kommen und die TJ-Firma „anzac“ in ihrer Webadresse führt. Zu den letzten runden Gedenkfeiern ist auch der jeweilige Aussie-Ministerpräsident gekommen, das letzte oder vorletzte Mal hat der auch alle noch lebenden Gallipoli-Kämpfer, deren er habhaft werden konnte, mitgebracht. Bei den großen Jubiläen reisen sogar tausende Leut um die halbe Welt hierher. Der Guide hat von diesen Events und zu vielen anderen Stellen seiner Erklärung auch Bilder in seiner Mappe, die er herumzeigt, ja sogar eine Liste, wie alt der jeweils letzte noch lebende Ex-Soldat in der Türkei, Australien, Neuseeland und GB inzwischen ist. Alle über hundert. Ein alter Türke, der letztens noch dabei war, ist mit 110 gestorben und hat ganz oben auf dem Hügel ein sentimentales Denkmal. Ein 109 Jähriger lebt noch, war unlängst krank, ist wieder gut beisammen, wie das ganze Land aus den Medien weiß. Selcuk hat uns das heute selbst bestätigt. Er sagt, dass sich die Türkei noch immer unglaublich auf WK I bezieht. Die Ozeanier aber anscheinend auch nicht wenig.
Wir fahren von Friedhof zu Friedhof, sehen auch die Reste von Schützengräben, hören Berichte vom Schlachten und natürlich fehlt auch ein sich aufopfernder Sanitäter nicht und auch nicht ein Türke, der einen verwundeten englischen Offizier zurück zu seinen Linien trägt – dafür gibt es sogar ein Denkmal. Groß das Monument mit Atatürks Rede, wonach er zwanzig Jahr danach nicht mehr zwischen Freund und Feind unterscheide und auch die toten Anzacs usw. Söhne dieses Lands und seiner Erde geworden seien. Selcuk sagt, dass das noch immer jährlich öffentlich gelesen werde und viele Menschen nach wie vor zu Tränen rühre, statt sie wenigstens nachträglich in Wut zu versetzen. Der Hügel ist voll von dem Versuch, ein Schlachthaus in ein Bethaus umzuwandeln, dem Ganzen einen Sinn anzuhängen, der weitermachen lässt wie bisher. Und wollte man das nicht, was sollte man dann mit dem Grauen anfangen? Also Zähne zusammenbeißen, den Tränen freien Lauf und vorwärts Marsch!
Inzwischen bauen auch die Türken große Denkmäler. Atatürk mit der obligaten Riesenfahne drüber, dort wo ihn nur seine Taschenuhr vor dem Tod gerettet hat. Der Held von Gallipoli hat seine Soldaten ohne Munition mit bloßem Bajonette auf die Anzacs getrieben und bewunderte die Schafsgeduld seiner Männer, die, das Hirn mit Suren wohlverkleistert, in den sicheren Tod gegangen seien. Das ist noch immer Stoff für ein Heldenepos statt für Ekel und Erbrechen. Selcuk berichtet von einer islamischen Version der Geschichte, wonach es nicht bloß Atatürk, sondern Gottes Engel selber waren, die auf der Seite der guten Muselmanen die teuflischen Anzacs aufgehalten haben.
Hedi hat bei den letzten Stopps den Autobus nicht mehr verlassen. Sie schläft lieber. Schließlich sind die Lektionen nach so fünf, sechs Stunden beim Kapitel der listenreichen vom Erfolg gekrönten Evakuation der Allierten und dem damit besiegelten glorreichen Sieg des Osmanischen Reichs angelangt und damit am Ende. Zurück zur Fähre und rüber nach Asien. Muzo hat den Namen des Lokals geschrieben, wo es ihm so gut geschmeckt hat, wir finden es locker, wenige Gäste, sie kommen erst im Lauf des Abends, Hedi bestellt ein Potpourri aus Gemüse und wagt sich an Sardinen, ich an ein Beefsteak. Wir trinken Ayran, zum Abschluss Wein. Die Sardinen finden wenig Gefallen, ich bin zufrieden, bloß nicht mit der Rechnung, sie ist unleserlich und höher, als die Speiskarte hat erwarten lassen. Wir nehmens hin, ich schreib es Muzo im erbetenen Bericht, wir gehen schlafen.
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Montag, 16.7., sollen wir um halb neun bei Metro sein. Wir packen, frühstücken, zahlen, gehen die hundert Meter, werden eingewiesen, der Steward verstaut unser Gepäck und gibt uns eine halbe Stunde frei. Wir finden das trojanische Pferd, die Filmrequisite aus dem jüngsten Troja-Film, den wir so wenig kennen wie den zu Gallipoli. Das Pferd wirkt entschieden „besser“ als das in Troja gestern. Zurück zum Autobus, wieder rüber nach Europa über die glorreiche Fläche vom 18. März, unter der die Wracks und Leichen auf dem Meeresgrund liegen, auf die fast siebenstündige Fahrt nach Istanbul.
geschrieben am Mittwoch, 18.07.07 morgens
Ich war schon vor dem Moschee-Lautsprecher wach. Der Gesang hat im Grund was Bedrohliches an sich: Die Gemeinschaft soll sich erheben, wer nicht, bleibt draußen. Es funktioniert nicht mehr so recht, aber heute vielleicht doch schon wieder stärker als noch vor zwanzig Jahren. Und das ist Schlimmeres, als eins von unserem Glockengebimmel sagen kann. Mein Herz ist meistens schwer in aller Früh, wenn ich an Uli denk und dass ich da so wenig Macht habe.
Aber nun weiter in unserer Reise: Fruchtbare Gegend, abgeerntete Getreidefelder, Obstkulturen, immer wieder schöner Blick aufs Dardanellen bzw. die Ägäis, ein Stück ins Hinterland, in den großen Orten ein Otogar, dazwischen zuweilen Wartehäuschen, doch bei Bedarf bleibt der Bus stehen, wo wer winkt.
Klimatisiert, Wasser, Fanta, Parfum wie schon gehabt. Nach Stunden nähern wir uns Istanbul. Reiche Vorortsiedlungen, vielstöckige Neubauten, weite Brachen, neue Schneisen und vielspurige Straßen, es sieht chaotisch aus, ab und zu sowas wie ein Slum. Im Führer les ich, dass sie recht wohlgeordnet sind nach Herkunftsdörfern, das alte islamische Recht, wonach ein Haus mit Dach nicht abgerissen werden darf, zwar außer Geltung, aber voll in Wirkung ist.
Wir kommen zu einem mehrstöckigen Autogar von New Yorker Ausmaßen. Entgegen dem, was der Steward ursprünglich gesagt hat, sollen wir hier schon zum „Service“ in die Innenstadt umsteigen und dann mit der Straßenbahn weiter nach Sultanahmet fahren. Wie immer auf den Autogars gibt es Leute in Krawatte, die einen einweisen und Auskunft geben. Wir sollen im Wartesaal das tun, wonach er heißt. Wir bleiben unschlüssig wie andere Ankömmlinge davor stehen. Eine junge Familie gibt das Handy einem der Einweiser, damit der dem Papa erkläre, wie er hierher kommt. Der taucht bald drauf auf, begrüßt das Kind herzlich, die Frau so gut wie nicht. Eine ältere Kopftuch-Frau (turbanisiert, sagt Selcuk) spricht gestikulierend in ihr Handy und reicht es mir, damit ich weiterrede. Dabei steh ich selber mit dem Koffer da. Aber hier bin ich nun einmal ein Türk und weiß den Weg. Ein anderer Mann begreift und nimmt mir das Handy ab. Dann spielt er selber den Einweiser, deutet uns, dass das „Service“ erst in einer halben Stunde kommt und ob wir nicht ein Taxi wollen. Dreißig Lira koste es, schreibt er mit dem Finger in seinen Handteller. Wir willigen ein und gleich steht er selber mit einem klapprigen Winzigbus da und lädt die Koffer ein. Von Taxi keine Spur. Zuerst fährt er tanken, für 20 Lira bekommt er grad sieben Liter. Weiter geht’s. Hedi wird hinter kräftig durchgeschüttelt, vorn ist es etwas besser. Wir kommen in immer dichteren Verkehr. Dass Rot höchstens eine Empfehlung ist, nach rechts und links zu schauen, sind wir schon gewohnt, bloß in dieser Dichte nicht. Wir begegnen etlichen Wahlkampfautos mit Lautsprechern, wie wir es schon von Kusadasi und anderswo kennen, auch die Wimpfel hängen hier und da über den Straßen. Unser Fahrer deutet, dass Politiker nur Geld einstecken. Bloß vom nunmehr schon historischen Ecevit und seiner CHP scheint er eine bessere Meinung zu haben. Ob die auch für die heutige Partei gilt, ist uns nicht klar. Wir fahren eine halbe Stunde recht flüssig durch das Gewühl. Wir kommen nach Sultanahmet, die Adresse hat unser Chauffeur vorne auf dem Armaturenbrett. Zum Lesen braucht er eine Brille. Er ist so alt wie ich, tät ich sagen. Zweimal steigt er aus und fragt. Das dritte Mal winkt er einen Verkehrspolizisten her. Der kommt bereitwillig, erklärt ausführlich, klopft immer wieder dem Fahrer freundlich auf den Unterarm. Tatsächlich kommen wir zum Mimar Ahmed Aga Caddesi, obwohl es fast keine Straßenschilder gibt bzw. ich kaum so welche sehe. Fehlt nur noch das Otel Hippodrome. Hedi sieht den Namen. Unser „Taxler“ lädt die Koffer aus und kriegt seine dreißig Lira.
Wir stehen da, ein Mann kommt uns sagt was, was irgendwie bedeutet, dass wir noch nicht da sind. Wir begreifen schnell, dass Apart bei Hippodrome nicht das Hotel meint, das ist dreißig Meter weiter, mehr nicht, Gottseidank. Der Man nimmt Hedi den Koffer ab, wir gehen hin, er introduziert uns beim Rezeptionisten, der übernimmt, der Mann zieht unbedankt ab, wir machen grad dem anderen klar, wer wir sind, zeigen unsere Pässe und werden aufs Zimmer geleitet, die Koffer werden nachgebracht. Da sitz ich jetzt mit ausgestreckten Beinen, die ganz steif geworden sind, weil ich den Laptop drauf habe. Ich war auch schon jünger und gelenkiger.
Aber jetzt ist schon eineinhalb Tage später. Zurück nach vorgestern nachmittag! Die Altstadt liegt wie Altrom auf Hügeln, ist auch diesbezüglich eine Nova Roma. Die Häuser sind großteils nicht grad alt, alte sind aus Holz und fast immer Hotels. Wir gehen hinauf zu einem steinernen Bazar, Teppichhändler dominieren, wir werden wieder angeredet, Hedi bleibt standhaft. Nochmals Stufen rauf zu einer großen Moschee, die wir prompt für die Hagia Sophia halten. Erst nach zehn Minuten verstehn wird den Reiseführertext – es ist die Sultanahmetmoschee, die so genannte blaue. Jetzt wissen wir, warum wir für eine Moschee haben spenden sollen, die Schuhe haben ausziehen müssen und Hedi ein blaues Tuch ausgefasst hat. Drinnen ist es wieder liberaler, manche Frauen kommen ohne Kopftuch oder nehmen dieses ab, Hedi auch. Selbst die Schranken, deren Linie man nicht überschreiten soll, bleiben von etlichen unbeachtet. Leute sitzen auf den Teppichen, fotografieren, schwatzen, in einer Ecke schläft ein Backpacker ungestört. Ein paar Männer freilich beten, recken rhythmisch den Hintern in die Höhe. Blaue Fliesen und Bemalung, Anfang 17. Jh., sollte die neue Hauptmoschee statt der Hagia Sophia werden. So grundlegend anders als eine Kirche ist der Bau auch nicht, bloß keine Altäre und Bilder, aber doch eine Art zentrale Nische und eine Kanzel, aich sowas wie eine Sakristei mit Garderobe und Büchern ist zu sehen. Die Teppiche als Fußboden und Sitzgelegenheit sind andgenehm. So wirklich beeindruckt sind wir nicht. Trotz der sechs Minaretts, was Rekord war und Mekka ein siebtes gebracht haben soll, damit die wieder Spitze sind. Draußen ein großer Peristylhof, auch der erinnert an alte Kirchenvorhöfe und Kreuzgänge, bloß das Dekor ist stilistisch anders. Kommt alles aus demselben Stall.
Hinüber zur Hagia Sophia ein wunderschöner Park, auch viele Bänke und jede Menge Leute. Früher war hier das berühmt-berüchtigte Hippodrom. Die Kirche und dann Moschee ist seit Atatürk Museum, bloß haben sie Montags zu. Wir gehen spazieren. Hinunter zum Marmarameer. Unter der Bahn durch, arme, oft baufällige Häuser, dann wird es aber gleich wieder solider. Stadtmauer, davor die Uferstraße, breit und laut. Drüben eine Promenade und ein breit mit großen dunklen Felsblöcken befestigtes Ufer. Jede Menge Angler, lauter Männer. Sie haben sich eingerichtet, manche liegen auf großen Handtüchern, einmal brät man auch Fisch. Ein Partie Obdachloser. Ein Mann mit langen Haaren geht auf der Begrenzungsmauer und winkt uns freundlich zu. Wo das Goldene Horn beginnt, zweigen wir ab in einen schattigen Park zwischen der Mauer von Topkapi und den Häusern an der Bucht. Schön gepflegt. Wir kommen zu den lauschigen Bankerln mit Hozgittern rundherum, für die Verliebten. Ein paar sind auch schon da.
Fürs Abendessen wollen wir ein Restaurant, wo wir in der Vitrine sehen, was es zu essen gibt. So wie wir’s annis Siebziger in Griechenland gehabt haben. Tatsächlich finden wir eins unweit der megale ekklesia. Der Koch spricht auch sehr gut deutsch. Wir kriegen, was wir gesehen haben. Auch Hedi ist zufrieden. Im Fernsehen ist Millionenshow. Alles schaut so aus wie bei der im ORF, finden wir. Fachleute sind wir ja keine. Wahrscheinlich reisen auch die Türken so wie die Unsern für die Show nach Köln. Die haben wohl das Monopol mit ihrer Anlage dort. Die Rechnung ist doch recht ernüchternd. Hätten wir in Wien auch nichts Teureres gefunden. In der Nacht dreht Hedi die Klimaanlage ab, es ist dann bis zum Muezzin ganz still, aber stickig heiß in der Früh.
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Es ist Dienstag, 17.7., Buffetfrühstück auf der Dachterrasse eines Hotels vis a vis, Obelisk mit Namen, mit Blick auf Marmarameer, Bosporus und Stadt. Wie bei den reichen Leuten. Jetzt muss ich aber kürzer werden, sonst schaff ich das Frühstück heute erst um 10. Also, wir sind in die Hagia Sophia. Nix Historisches dazu, dafür hab ich schließlich ein Buch gekauft. Interessant ist aber, dass die beiden Vorgängerbauten im 5. und 6. Jahrhundert jeweils bei Straßenkämpfen in Flammen aufgegangen sind, einmal als die Kaisersfrau und Patriarch sich entzweiten und als die Hippodromparteien sich gegen den Kaiser wandten (interessanterweise eine Koalition populärer Monophysiten [grün] und elitärer Orthodoxer [blau]). Erst als genug Blut geflossen war, gab’s wieder eine neue Kirche. Reichhaltige Tafeln im ersten Narthex. Im Shop im zweiten kauf ich das Buch und sehe auch eins mit dem türkischen Standpunkt zum Nicht-Genozid an den Armeniern. Das erspar ich mir. In der Kirche werden, scheints, noch immer moslemische Übermalungen von alten Mosaiken entfernt, soweit diese halt darunter noch existieren. Die alten Holztafeln mit den arabischen Inschriften aber bleiben hängen, es gibt im Hauptschiff auch grad eine Ausstellung zu Sufismus und Derwischen. Klingt recht poetisch und human. Am Abend sehen wir dann in zwei Lokalen nahe der blauen Moschee, dass daraus Tischmusik und Showdance für feine Restaurants geworden ist. In der Frage, wer hat den größeren Schwanz, haben Venedig und die Päpste die Hagia Sofia dann doch noch überdehnt. Auf der Galerie eine Fotoausstellung über den kaiserlichen Blick auf die arme Jüdin und ihren Sohn, den Zimmermann anhand der Mosaiken. Hab nicht mitbekommen, ob sie das kritisch meinten.
Das Topkapi-Museum hat am Nachmittag schon wieder zu, die Polizisten weisen uns zurück. Das Archäologische verweigert Hedi, nachdem sie in der H.S. einen Großteil der Zeit heraußen bei Tee zugebracht hat. Wir wandern hinunter zum Goldenen Horn durch alte Viertel, finden den Bahnhof – die Deutschen haben ihn gebaut, sagt uns dann Selcuk, und es ist der Kopf der Bagdadbahn. Aber mehr als vier Gleise gibt es nicht. Der Mann am Kiosk zeigt uns mit Gebärden, dass das Postamt irgendwo auf der anderen Straßenseite und dahinter liegt. Ein besserer Herr hört es und nimmt uns mit, wir gehen durch ein Haus mit Restaurants und Geschäften, dahinter eine Straße und drüben ist das Hauptpostamt mit großer Halle mit auch nicht kleinem Atatürkbild, man kann Nummern ziehen für die Schalter, bloß für die Brief- und Markenschalter braucht man keine. Hedi holt Marken für die geschriebenen Karten und schreibt an einem der Stehpulte noch drei weitere. Ich schreite langsam ein paar Runden, dann ist sie fertig, ich geb sie ab.
Unten am Fähr- und Rundfahrschiffhafen nehmen wir, als wir das dritte Mal angeredet worden sind und der Preis immer gleich 20 Lira war, ein Ausflugschiff in den Bosporus (so zwei, drei, vier Kilometer von den dreißig. Uns vis a vis ein junges Paar mit turbanisierter Frau. Sie sind verliebt und zärtlich zueinander. Weiter draußen nimmt der Mädchen das Kopftuch ab, löst ihre Haar zu einem mächtigen Pferdeschwanz und setzt ein Käppi auf. Die anderen jungen Moslemfrauen links davon bleiben eingepackt.
Feine Wohngegend der Bosporus, zum Teil Villen in Parks, auch restaurierte aus Holz, doch auch Volkstümlicheres in Betonhäusern mit vier und mehr Stockwerken, auch sozusagen ein Dorf, dann wieder türkisches Barock und türkischer Ringstraßenstil, darunter der Palast der letzten Sultane. Ein Haus auf einem Hügel, das wie eine große Schule aussieht, erklären wir zum St. Georgs-Kolleg. Nach knapp eineinhalb Stunden sind wir wieder da. Ich find ein Telefon (am Vormittag haben wir Traude, Susi vergeblich angerufen, detto zweimal Selcuk). Selcuk ist zu sprechen. Er ist schon in Sultanahmet, wir vereinbaren ein Treffen bei der blauen Moschee und machen uns auf den Weg. Die Karte, die wir am Bahnhof schließlich doch gekauft haben, nützt wenig, wenn wir keine Straßenschilder finden. Es ist aber so schwer nicht, die Mosche muss oben sein. Hedi passt auf die Geschäfte auf. Sie identifiziert eine Sportartikelstraße und dann eine mit Buchhandlungen. Die wär interessanter, wenn wir Türkisch könnten. Wir kommen rauf, diesmal meinen wir kurz, dass die Hagia Sophia die blaue M. ist.
Als wir zu deren Hof hinkommen, begegnen wir schon Selcuk. Er begrüßt uns strahlend und herzlich. Er schaut mit seinen blauen Augen viel weniger türkisch aus als ich. Wir gehen in ein nahes Cafe/Restaurant mit Pölstern und Teppichen, an dem wir gestern vorbeigekommen sind. Selcuk erzählt eine Menge. Er ist so alt wie Gulo, teils in Deutschland aufgewachsen, wohin sein Vater als Linker emigiert war und dann die Familie nachgeholt hatte. Abitur in Deutschland und in Istanbul. Studium in Berlin, Grafiker, hat in der Werbung zuletzt als Art Director gut verdient. 1993 zurück in die Türkei, Staatsbürgerschaft aberkannt, wieder verliehen und gleich zum Militär eingezogen. In den Kurdenkrieg nach Südosten geschickt. Im Feldlager, Telefonanrufe und Briefe/Buchsendungen von der Freundin in Berlin halten ihn am Leben, wie er sagt. Nach eineinhalb Jahren Militär bleibt er in der Türkei. Arbeitet seitdem für die Süddeutsche. Früher manchmal von der Polizei bedroht, jetzt nicht mehr. Wohnt in winziger Wohnung am Bosporus, will bald heiraten, Freundin aber erst 25 Jahre alt, ihr Vater dagegen. Sucht größere Wohnung, will dann die ganze Krisis-Streifzüge-Sippe einladen, dass sie ihn besuchen kommen.
Seine Schwester ist gestern angekommen, heute hat sie Geburtstag, muss noch heute mit ihr feiern. Er erzählt von seinen Interviews heute. Palette reicht von einem AKP-Wähler, der von Erdogan enttäuscht ist, weil er zu prowestlich ist, bis zu einer Frau, die die AKP ablehnt, die die Frauen nur als Schwestern und Mütter sieht, aber als weibliche Wesen ablehnt. Er selber sieht die Lage als sehr kompliziert. Er ist für Demokratisierung und insoweit für Modernisierung, die er zugleich vom Standpunkt der Wertkritik sieht. Wenn die 15 kurdischen Unabhängigen bei den Wahlen durchkommen dürfen und das Militär das akzeptiert, dann sieht er die Türkei als demokratisch an, sagt er. Und Erdogan habe gesagt, er könne sich auch eine Koalition mit Kurden vorstellen, was einem Kemalisten nie über die Lippen gekommen wäre.
geschrieben am Freitag, 20.07.07 in Wien
Für den EU-Beitritt sei eigentlich nur Erdogan, die Kemalisten seien voll dagegen. Die AKP macht voll neoliberale Politik, hat eine eigene Intellektuellenkaste herausgebildet, für Soziales ist offenbar die Familie und die Moschee zuständig, und das funktioniert einigermaßen. Er sagt, zugrundegegangen ist die Stadtviertelgemeinschaft mit ihrer sozialen Absicherung und sozialen Kontrolle, die sogar eine staatliche Polizei überflüssig gemacht habe. Die AKP sei am stärksten bei den Zuwanderern in den Armenvierteln der Zuwanderer vom Lande. Dazu ein Absatz aus der taz vom 28.6. des Jahres:
Auch wer durch die armen Vorstädte fährt, wird feststellen, dass es kaum noch Slums im klassischen Sinne gibt. Die Häuser sind hässlich und schlecht gebaut, aber es sind Häuser. Die früheren „Gecekondus“, die über Nacht erbauten Häuser, waren zwar illegal, standen aber in aller Regel auf staatlichem Land. Zumeist im Zuge von Wahlkämpfen erhielten die Slumbewohner dann nach und nach Eigentumstitel für das Grundstück, auf dem sie ihre Hütte gebaut hatten. Sobald sie diesen sogenannten Tapu hatten, kamen Baulöwen und boten ihnen an, auf dem Grund ihrer Hütte ein Haus mit vier oder gar sechs Wohnungen zu errichten. In dem Haus bekamen dann die Tapu-Besitzer zwei Wohnungen, die anderen konnte der Baulöwe verkaufen. So wurde Istanbul ohne öffentliche Mittel urbanisiert, der Staat stellte lediglich den Boden zur Verfügung. Die neuen Vorstädte haben die Stadt mittlerweile in ein Siedlungskonglomerat verwandelt, das sich über 120 Kilometer hinzieht.
geschrieben am Samstag, 21.07.07 in Wien
Vor zwanzig Jahren habe man in Istanbul noch keinen „Turban“ gesehen. Diese Kopftücher hätten nichts mit denen zu tun, die vor allem alte Frauen schon immer getragen haben. Sie sind neu, eine Abgrenzung von der „westlichen“ Lebensweise, die man aber als liberalen Kapitalismus voll übernommen habe.
Wir haben inzwischen das Lokal gewechselt, sind wieder im Lokal von gestern Abend essen, weil im ersten laute Musik gespielt hat und hier nur der Fernseher im Hintergrund in erträglicher Lautstärke vor sich hinblödelt. Wir haben Selcuk schon ziemlich lange aufgehalten, die Schwester wartet aufs Geburtstagfeiern, er entschuldigt sich und läuft davon. Am Abend kommt noch der Rezeptionist zu unserem Zimmer und bringt uns einen Post-Plastikbeutel von Muzo, drin ist ein Aufladegerät, das aber gar nicht uns gehört. Wir haben nix von dem vielen elektronischen Zeugs, mit dem wir durch die Gegend reisen, vergessen, wenn wir auch nicht immer gleich alles finden :-).
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Mittwoch, 18.7., unser letzter voller Tag hier. Terrassenfrühstück in der Sonne, weil der Ausblick so schön ist. Wir gehen ins Topkapi, das volle Programm: mit Harem und mit Audio-Guide, übrigens dasselbe Modell wie im KHM, sogar die Ende-Töne sind die gleichen. Der Palast ist ungewöhnlich durch die niedriege, flache Bauweise, mit 700.000 m2 nicht gerade klein. Gleich im ersten Hof die zu einem Arsenal umgewidmete Kirche der Hagia Eirene (!) aus dem 6. Jh., denk ich. Ein paar hundert Frauen im Harem-Bereich (= privater Bereich), großer Wert offenbar auf den Küchentrakt gelegt, jedenfalls ist er ungewöhnlich umfangreich. Gewaltige Sammlung chinesischen Porzellans so ab dem 13. Jh., uns kommt das als Erklärung dafür vor, warum osmanische Bilder so chinesisch aussehen. „Kein anderes Museum“ hab so viele Thronsessel. Auf denen muss der arme Sultan im Türkensitz ausharren. Der Topkapi-Dolch ist anders als im Film ganz unscheinbar in einer Wandvitrine. Bemerkenswert der Hof für die Ausbildung der Janitscharen und Beamten – meritokratisch, kein Kult des adeligen Blutes. Aber kein Wort darüber, wie man Janitschar wurde, bloß kurze Erwähnung, dass die Haremsdamen auch erbeutet und geraubt wurden, auf jeden Fall Geschenke an den Sultan waren. Am Ende ein europäisch-klassizistisches Terrassengebäude mit Ausblick über den Bosporus, heute Restaurant und Cafe. Ein Sultan hat es im 19.Jh. bauen lassen – und ist dann vom Topkapi an den Bosporus in den „modern“-europäischen neuen Dolmabahce-Palast umgezogen, an dem wir eh schon vorbeigeschifft sind.
Der Harem selber ist tatsächlich ein luxuriöses Labyrinth im Halbdunkel mit streng hierarchischer Gliederung und selbstverständlich Ausgehverbot. Was die Männer angeht, hatten dort nur der Sultan und seine Söhne noch Hoden und die Hierarchie der Frauen war ausgerichtet nur nach ihm. Natürlich jede Menge Intrigenspiel bis hin zu Mord und Todschlag an der Sultansmutter. Am Ende die Goldene Gasse, schmucklos, kalter Stein, aber hier soll der hohe Herr Münzen an seine Weiber verstreut haben. Der glorreiche Eroberer Mehmet II. ist auch hier entlang gerannt, auf der Flucht vor Meuterern, und wurde von einer Frau, von wem sonst?, gerettet, die ihren Herrn mit heißer Asche verteidigt hat.
Draußen noch der Diwan, wo der Staatsrat tagte und der Sultan verborgen hinter einem Gitterfenster zugehört hat. Wenn er was sagen wollte, zog er den Vorhang zu, womit der Großwesir bei ihm zu erscheinen hatte. Schließlich hat er auch mit Gesandten nur auf diese Weise indirekt verhandelt, da sogar im selben Raum (Empfangspavillon), wenn ich recht verstanden hab. Wär interessant, was das bedeutet hat.
Abends kommen wir doch noch ins Hamam, Hedi hatte einen Prospekt an der Rezeption gefunden, mit Abholen und Wieder Heimbringen, zum doppelten Preis von dem, was sie verstanden hatte (60 Lira pro Person statt für uns beide). Verspätet (der Rezeptionist hat vergessen, anzurufen) holt uns der Fahrtendienst ab, wir kommen durch die üblichen Straßen im belebten Zentrum in ein enges Gassengewirr, ganz zentral, aber ganz ruhig ist es dort, um acht schon alle Geschäfte zu, dort ist das Süleymaniye Hamam (http://www.suleymaniyehamami.com/german/german.asp)
, vom Architekten Sinan (1490-1588!) für Süleyman den Prächtigen erbaut und technologisch wenig weiterentwickelt. Wie zahlen Lira 60,- pro Person, ziehen uns in einer uralten geräumigen Holzkabine um, ich hab einen Badeschurz bekommen, Hedi zusätzlich noch einen Bikini, der ist aus demselben Stoff wie der Handtuchschurz. Wir werden informiert, dass hier der auch in Wien legendäre Suleyman (wenn er 1529 gewonnen hätte, hätten wir vermutlich jetzt auch Hamams hier) zu baden pflegte (zumindest einmal?), werden in den achteckigen Kuppelsaal geleitet, es ist dämmerig, durch die verglasten Gucklöcher in der Kuppel scheint die Abendsonne, es ist warm und dampfig, außer uns nur noch ein weiteres Paar hier, wir sitzen und liegen auf einer fünfhundertjährigen Marmorbank und schauen auf die Kuppel, während die beiden jungen Masseure das Paar in einem der acht Anbausäle behandelt werden. Es gießt und platscht, dass das Rondeau widerhallt. Die Sonne geht unter, es wird immer schummriger. Schließlich kommen wir auch dran. Wir werden erst im Sitzen, dann im Liegen tüchtig mit Seifenlauge eingeschmiert und mit rauhem Handschuh gründlich abgeribbelt, aus Schalen mit kaltem Wasser überschüttet und militärisch „rough“, wie Hedi sagt, abgeklatscht, arm- und beinverdreht, gedrückt, geknetet. Mir taugt es ungemein, Hedi ist es doch ein wenig allzu heftig. Dann liegen wir wieder auf dem Marmorplateau, die Masseure sind gegangen, wir lassen es immer weiter dunkel werden. Es gibt keine Brause, nur Schalen und Becken, auch die Wasserhähne schauen nach Jahrhunderten aus. Erst nach einiger Zeit leuchten irgendwo ein, zwei einsame Glühbirnen auf, wir werden mit Handüchern beturbant und bekommen noch je eines über die Schultern. Schließlich sollen wir noch was trinken. Wir sitzen in einem blanken Gemäuer auf Teppichbänken und bestellen, Fanta oder sowas. Das Klo nebenan ist aber auf dem letzten Stand. Schließlich wieder in die großen Vorhalle, in die ehrwürdige Kabine. Noch was trinken ist nicht drin, der Fahrdienst ist angeblich schon bereit, wir sollen noch zehn Minuten Platz nehmen – die haben keine Ahnung, wieviel ich in zehn Minuten konsumieren kann. Aber der Preis der beiden schon geschluckten Dosen hat den Preis eines einfachen Mittagessens. Draußen ist es finster, kaum Straßenbeleuchtung, um 10 Uhr niemand mehr auf den Gassen. Erst nach einiger Zeit kommen wir in die illustre Welt zurück und ins Hotel für die letzte Nacht in Istanbul.
Bilder und Beschreibung:
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Kurz nur, denn um halb sechs läutet mein Handy den Donnerstag, 19.7., ein (der Konserven-Muezzin hat schon zuvor gestöhnt, bloß sind wir aus Protest liegengebliegen, jetzt duschen wir, sind vor sechs noch unten, der Rezeptionist telefoniert nach einem Taxi. Draußen lesen wir am Nachbargebäude: 23 Grad, sehr angenehm. Die Fahrt zum Atatürkflughafen ist um 5 Lira billiger als unsere Herfahrt vom Busbahnhof im Klapperkombi – kein Wunder, dass der sich so gefreut hat. Nicht viel Verkehr, einmal eine Ölspur und der Straßendienst, der Sand streut. Flughafenanonymität, Hedi schaut, dass sie die Lira los wird, Flug nach Izmir, ich schau, dass ich die Telefonkarte auf Null bringe – 3 Einheiten sind am End noch drauf, Hedi ist erfolgreicher, die Lira sind alle weg. Wir steigen ein, heben ab nach München, dann Schnellbahn, Schnellzug, U-Bahn, J und sind daheim – und warten, dass wir dort weitermachen, wovon wir weggefahren sind – Freitag ist vor sieben noch der Fliesenleger da, gegen neun kommen auch die Tischler.