BILDER SO EINSETZEN, DASS SIE IN EINEM EIGENEN FENSTER GEÖFFNET WERDEN
Montag 14.7., Dienstag 15.7. Carnia, Venzone, Gemona, Nimis, Cividale
Fahren ca. um 10 Uhr von Wien ab, nach vier Tagen Putzen bzw. Wohnung herrichten (Badezimmer). Wir halten in Pontebba auf der traditionell venetischen Seite, Hauptplatz recht verfallen, überhaupt ist das ganze Kanaltal vom Verkehr schwerst gestört (Durchfahrtstraßen, Umfahrungsstraßen, Autobahn und Eisenbahn, das trübe Wetter tut ein Übriges). In Carnia wissen wir nimmer, wo das Hotel von 1975 war, so viel ist neu gebaut, so sehr die Straße verlegt, bloß die Wiesen rechts von der Straße gibt es noch, hier irgendwo im Regen der Karwoche habe ich Hedi gefragt.
Venzone ist nach dem Erdbeben von 1976 wiederhergestellt, wir schauen uns den restaurierten Dom an und die Schaubilder, wie der Bau den März noch überlebt, aber der September ihn wie die ganze Stadt ruiniert hat. Zu den luftgetrockneten Leichen will Hedi nicht. Gemona schaut ziemlich neu aus, oben auf dem Hügel noch ein paar Grundmauern einer Kirche, konserviert wie eine römische Ruine.
Um 6 sind wir pünktlich bei Alma. Ihre Hausnummer von Veitsche verwachsen. Wie ich sie endlich herausläute, erscheint sie auf dem Balkon und telefoniert grad mit einem anderen potentiellen Servas-Gast. Sie ist ungemein lebhaft und lieb, dabei doch schon 67. Sie hat Abendessen gemacht. Wir plaudern, Hedi kann erstaunlich gut Italienisch. Alma ist Witwe, ihr Mann ist ganz jung bald nach dem Erdbeben gestorben. Sie hatten damals nur ein kleines Holzhaus im Garten, von der Erdbebenhilfe zur Verfügung gestellt. Ein Sohn, aber keine Enkelkinder. Auch nicht alles Wonne/Waschtrog. Am Abend kommt Laura, eine junge Krankenschwester und irgendwie Almas Tochterersatz. Sie lernt und übt Deutsch. Am Dienstag schreiben wir morgens an Eva von wegen Anmeldung für AlpeAdria im September in Görz. Alma lebt mit Servas. Erst seit 12 Jahren dabei, reist sie von Treffen zu Treffen von Besuch zu Besuch, zwischen Australien und Amerika, vor allem aber in Italien selber. Hedi und ich fahren nach Cividale, anders als 1975 diesmal ein Prachtwetter, der Ponte del Diavolo und die Natisone-Schlucht kommen voll zur Geltung. Das Cafe von damals oder gar das Hotel identifizieren wir nicht, ist auch ziemlich abstrus, womit wir uns damals die Regenzeit vertrieben haben: mit dem Gründungsschrieb des KBÖ. Wir laufen in der hübschen Altstadt umher, die vor dem „Mittelfest“ steht und sich grad als Langobardenstadt für das UNESCO-Kulturerbe qualifizieren will. Auch was Zentrifugales, so wie das versuchte Friulano-Revival. Die vermutliche ehemalige Palastkapelle der Langobardenherzöge in der damaligen „Gastalda“ und dem späteren Benediktinerinnenkloster mit Innereien aus dem 7. bis 14. Jahrhundert ist molto impressionante, sie zeigt, wie zäh Geschichte ist und wie machtlos sich so ein Individuum fühlen kann, dem die Historie nicht passt. Der Dom sagt uns nix, das recht aufwendig neu gestaltete Archäologische Museum über die Langobardenzeit (immerhin war Forum Iulii –> Friuli das erste langobardische Herzogtum nach der Einwanderung von 568) frequentiere ich allein – Hedi kommt nicht mit, auch sonst bin ich allein in diesen Hallen mit den Schautafeln, Erklärungen, Rekonstruktionen und Vitrinen. Ich lerne eine Menge Details, auch dass der heutige Name Cividale von Civitas Austriae kommt. Vom Gründer der Römerstadt, Caesar, steht vor dem Dom eine große Statue und in einer Klarsichthülle hängt dort ein Exemplar der Rede, die da am 13.(?), dem Cäsar-Geburtstag, vor einer Versammlung gehalten wurde. Cäsar wird hier als Tribun der armen Leut gefeiert! Naja, halt so, wie es die Linke mit den heutigen gemacht hat – Integration der Ausgeschlossenen ins Bestehende. Auf der „Heimfahrt“ kurven wir rauf ins Gebirge, aber nach Slowenien schaffen wirs doch nicht, dafür zur Cena mit Alma. Zuvor aber fahren wir mit ihr noch hinauf nach Romandola zu einem Restaurant (auch hier war schon ein Servas-Treffen der rührigen Hiesigen) und eine alte Kirche, wo die halbe Atheistin gerne in Gemeinde singt und dem geliebten linken Pfarrer zuhört.
Mittwoch, 16. und Donnerstag 17.7.2008
Autobahnfahren, industriell verwüstete Poebene, seis durch Landwirtschaft, seis durch die Ästhethik von Produktion und Kommerz. In der Toskana wird es schöner, wenn man auf die Hügel und die Zentren der Städte und Dörfer schaut. Umbrien zerklüftet, daher weniger zerkrallt, aber auch nur, wenn man von der Autobahn absieht, auf der man dahinstinkt.Weil wir früh dran sind, kurz noch nach Spoleto. Hinterm Stadttor demonstriert Garibaldi Nation, wir gehn in ein Cafe, 2 Tonic um € 5, ein Klobesuch, 250 € aus dem Automaten, ein Blick in eine mittelalterliche Straße mit ein paar Fußgängern. 4 km Tunnel „ersparen“ uns den Weg übers Gebirge, wir kommen nach Scheggino, ein Felsennest mit Steinhäusern und Gassen, wo kein Auto reinpasst. Gleich über der Nera „unser Haus“. Renato macht eine Führung durch die Winkel und Etagen, seine Frau hat mit ihrer Kunst und er seiner Arbeit ein Schmuckkasterl draus gemacht. Aber so sauber wie bei uns ist es bei weitem nicht, sagt Hedi, halb stolz und halb besorgt. Wir richten uns ein und gehn nach visavis ins ristorante del ponte, wir dinieren im Garten, nicht billig aber ums halbe Geld verglichen mit Venedig. Schließlich haben wir nicht die legendären Trüffel bestellt, über die sich der Baedecker so lustig macht. Noch ein kurzer Spaziergang durch die ausgestorbenen Gassen, dann hinein ins Vergnügen unseres Betts. Wir bleiben drin bis halber neune, wie die nahe Rathausglocke uns ausbimmelt, holen uns Frühstücksachen aus der Bottega del Borgo um die Ecke und frühstücken auf der Terrasse, während rundum die Vögel zwitschern und das Dorf in dieser Landfluchtgegend eine ziemliche Betriebsamkeit entwickelt.
Mit Hedis Ankündigung, dass sie die ersten zwei Tage nichts tun will als schlafen und rasten, ist es nichts. Sie beginnt damit, die Blumen auf den beiden Terrassen zu zupfen, dann spazieren wir bei Tageslicht steil hinauf durchs Dorf, wo auf den restaurierten Gassen mit den Stufen in der Mitte kein Auto fahren kann. Einiges ist verfallen, anderes wird zum Verkauf angeboten, etliches wird eben aufwendig restauriert (von Firmen, die’s dann verkaufen wollen?) Ziemlich weit oben gibt es eine neue Autozufahrt bis zum ersten alten Haus, auch ein hoher Kran reckt sich zum Himmel, weiß der Teufel, wie sie den mitten in den alten Häusern hingekriegt haben. Runter in einen Seitengraben zu den Forellenteichen, wo man gegen Geld fischen darf, auch zwei Bars, eine Pizzeria und eine Piscina mitten im Grünen gibt’s. Können wir auch einmal aufsuchen. Nur einen Imbiss zu Mittag, dann möchte Hedi Radl fahren in den nächsten Ort, San Pietro. Ich bin ein bisschen schwindlig, möchte eher rasten. Weil das eher aussichtslos ist, schlag ich eine Fahrt nach Spoleto vor. Radfahren ist gesünder und geht vor. Uns kommt vor, die Straße geht recht steil bergab, und doch müssen wir treten. Schlechte Räder? Gegenwind? Nach so zwei, drei Kilometer will Hedi auf einmal umkehren. Erstaunlich: Auch jetzt scheint es die ganze Zeit bergab zu gehen… Wie wir ins Haus kommen, läutet grad das Telefon. Auf den Stufen seh ich das Wörterbuch, das ich vor einigen Stunden vergeblich gesucht habe. Ich lauf rauf, Renato ist am Apparat, sie fliegen erst am Montag, seine Frau si è ammalata. Genesungswünsche. Hedi hat mein Wörterbuch nicht mit raufgenommen, unten liegt es auch nicht, auch sonstwo nicht zu finden. Ich bin verwirrt, Hedi schimpft, fragt, ob ich an Gespenster glaube. Später find ich es im Schlafzimmer im Hemd, das ich am Abend anhatte. In dieser Gegend spukt’s.
Hedi will mir entgegenkommmen. Mein Alternativprogramm Spoleto kommt jetzt dran. Nathan Never ist heute schon zu haben. Wanderkarte von Valnerina non c’è. Wir gehen den Corso Garibaldi rauf, Fußgängerzone, Steinhäuser, Mittelalter, viele Leute und Geschäfte, was sonst? In einem Buchgeschäft verkauft man mir eine Karte der Monti Sibillini für eine des Valnerina, erfolgreich. Gehen wir jetzt rauf auf den 2200m Berg? Der Dom steht zehn Minuten vor der Schließung, auf dem Platz davor sehen wir schwarz – Dutzende Priester und Nonnen. Innen außer dem Fußboden so ziemlich alles barockisiert – ich bin fürs Mittelalter. Ah, auch die Apsis ist ein bissl älter – Filippo Lippi, ich kenn ihn aus der Jugend, hab ein Bilderl von ihm gehabt mit einer sentimentalen Madonna, wie ich sie mochte, wo es doch ringsum keine anderen hübschen Mädels gab. Auch begraben liegt der Gute hier im rechten Kreuzarm, aber die Mesnerin klimpert mit den Schlüsseln und will uns los sein. Die Schwarzen auf dem Platz sind nicht mehr da, bloß noch der Bühnenaufbau vom Festival. Von der Treppe im Hintergrund ist die Piazza und die alte Domfassade eine Wucht. Stammt wohl noch aus Barbarossas Zeiten, der sich hier bei den Papisten ziemlich destruktiv benommen haben soll. Weiter rauf zur Rocca, die der Kardinallegat Albornoz vom Architekten Gattaponi mit einer Festung hat verunstalten lassen, damit der Kirchenstaat trotz Avignon erhalten bleibe. Lucrezia Borgia war hier dann ein Jahrhundert später ein paar Wochen Statthalterin von Herrn Papa. Dass es bis vor einiger Zeit dann ein Gefängnis war, hat Bau und Nutzung perfekt übereingestimmt. Dass es heute für ein archäologisches Museum und für Veranstaltungen dient, sagt vielleicht doch was über diese. Wir gehen hinten herum zu Gattaponis Aquädukt, 80m über der ausgetrockneten Schlucht. Der Geheimrat war hier auf seiner Italienreise von Anno 1816. Wir gehen auf seinen Spuren hinüber und zurück. Ein winziges Viersternehotel hat eine Fensterwand zur schönen Aussicht. Wir wandern um den Burgberg herum, eine verstörte junge Frau mit MP3-Player in der Hand überholt uns. Um die Ecke ist Baustelle. Ende des Weges. Die junge Frau kommt uns entgegen. Wir drehen um, auch die zwei Damen, die uns jetzt begegnen, gehen das zweite Mal an uns vorüber. Auch verstört?
Denkmäler enthüllen manchmal Sichten auf die erinnerten Ereignisse, die sie eigentlich verbergen sollen. Die Bildersprache der Symbole und Metaphern, derer sie sich bedienen, ist noch weniger eindeutig als die der Wörter, und umso leichter mag ein Sinn zum Ausdruck gekommen, der so verräterisch ist, wie ein Versprecher. Vor der Rocca in Spoleto spricht ein Denkmal in dieser Weise: 1910 zum 50. Jahrestag der Befreiung von der Papstherrschaft 1860 für die dafür Getöteten errichtet. Nach dem WK II für die Toten der Resistenza zweitgewidmet. Über den entsprechenden Aufschriften steht auf dem hohen Sockel denn auch „Patria“ auf der einen, „Libertá“ auf der andern Seite. Grund und Zweck des Sterbens. Doch drüber dann, wo anderswo der Lorbeer hängt, „für die Soldaten, die des Lorbeers würdig sind“, oder eine Siegesgöttin, ein Standartenhisser oder ähnliches das stattgehabte Gemetzel adeln, liegt hier schwer und wuchtig ein großer Sarkophag. Ob man das Denkmal von oben nach unten oder auch umgekehrt liest, am Anfang und am Ende bleibt der Skandal: GEWALTSAM an/für Vaterland und Freiheit GESTORBEN. Kein Trost, nur wahr.
Auch auf dem Rückweg bleiben wir innerhalb der Stadtmauer, kommen zuletzt aber in ein Viertel, wo abgerissen und neu gebaut wird, nicht grad schön. Ein Cafe mit Hotspot seh ich auch hier nicht. Das Internet Cafè noch am Corso war das einzige, wo man wenigstens browsen kann. Heim, Nudeln mit Sugo, von Hedi schnell noch komponiert, und ab ins Bett.
Freitag, 18.7.2008
Ich fühl mich schlapp. Ich meine, dass ich ausrasten sollt, weil mich die letzten Tag vor der Abreise und die Reise erschöpft haben, Hedi weiß, dass das nur von zu wenig Bewegung kommt. Zwar hat sie nach der Putzorgie vor der Abreise gemeint, dass sie die ersten zwei Tag nichts als schlafen und rasten wird, aber jetzt ist sie auf Action. Erstaunlicherweise schaffe ich es, dass ich daheim bleibe. Sie entscheidet sich, allein wegzufahren. Nicht ohne die Haustür laut zu schließen. Ich beruhige mich und bleib den Nachmittag auf der Terrasse und lese meinen Roman fast fertig. Immerhin beginne ich zu kochen, bevor Hedwig kommt, und sie entschließt sich, meine Suppe gut zu finden, und auch den Fisch, die Petersiel-Erdäpfeln und den Salat. Sie war bei der Abtei San Pietro und bei den Cascata di Marmore aus der Römerzeit. Aber sie schläft recht schlecht und geistert durchs Haus. Vielleicht wechseln wir das Schlafzimmer, damit sie die Rathausglocken nimmer hören muss, die jede Viertelstunde tief die volle Stunde und dann hell die Viertelstunde schlägt. „Der Klang der Zeit“ von Powell hat russisch-epische Ausmaße und ich müsst ihn zweimal lesen, mindestens. Die Tiefe des Rassismus und die teuflischen Schwierigkeiten, mit ihm umzugehen, werden facettenreich und kontrapunktisch wie kontradiktisch dargelegt, wie sie mir nie eingefallen sind. Rassismus ist aber für Powell unerklärlich. Die Grundanschauungen und existenziellen Entbehrungen, auf denen die Lebensweise beruht, sind jenseits aller Kritik, dass weiße Individuen farbenblind sein können, ist für seine Schwarzen nur eine weltfremde Gefahr, die sie sich nicht leisten können, die Musik als gemeinsames Humanum ist so wenig praktikabel wie die Liebe, die Zusammenführung der Szenen mit dem verirrten schwarzen Jungen am Schluss zugleich als ewige Gegenwart und zugleich als Hoffnung auf die Zukunft im „Klang der Zeit“ bleibt so eine literarisch-voluntaristische Figur, die von Esoterik angereichert ist, so wie der Versuch des Juden und der Schwarzen, anders zu leben, außer ihrem guten Willen keinen Anhaltspunkt in der Welt zu haben scheint. Die Vorstellung des alten schwarzen Doktors, dass man die Weißen von den schwarzen Fähigkeiten überzeugen muss und kann, ist, wenn sie umgesetzt würde, keine Lösung, sie könnte nur den Rassismus verschieben, denn diesen brauchen die Fähigkeiten, um irgend sicheren Boden zu haben, in einer Welt, in der man sonst dauernd nur auf dem Prüfstand stünde.
Samstag, 19.7.2008
Laut SMS kommen Mitzi und Christoph um 7 Uhr abends. Hedwig möchte mit mir eine Rundfahrt machen. Ich stimme zu. Wir kaufen für das Abendessen ein, dann fahren wir das Tal hinauf und schließlich rauf in die Berge, wollen in einem Ort, Poggiodomo, eine Michaels-Kirche anschauen, sie ist zu, der Aufstieg auf den Kirchturm wäre zwar nicht vorgesehen, aber möglich, scheitert aber an Hedis Verdauung. Eine etwas rätselhafte Inschrift über dem Portal, ein noch intaktes öffentliches Waschhaus, ein Lavoir mit Wäsche zeigt, dass es sogar noch nutzt. Eine Garibaldi-Heldeninschrift auf dessen Tod über einem Durchgang, zwei merkwürdige Flachreliefs auf dem Kriegerdenkmal von WKI: In Schreibrichtung gelesen sagt es mir: Für die wehrhafte Italia in langem Rock, mit Krone, Schild und Schwert und mit Kanone und Geschossen hinter sich sind die unter Wappenstern und -adler mit Dienstgrad verzeichneten jungen Männer in den Krieg gezogen und, so sagt das rechte Bild, in zeitgenössischer Montur, das Gewehr mit Bajonett noch in der Hand, den Helm schon verloren, den Kopf zurückgerissen, den Mund zum Todesschrei geöffnet, die freie Hand verkrampft, über Steine und spanische Reiter stolpernd erschossen hingefallen. Runter in ein Tal zu einer Madonna della Stella über eine Sandstraße zurück zum Talschluss an einem Ferienzeltlager vorbei. Parken, zu einem Grillplatz mit einigen Vätern und ihren kleinen Kindern am Bach, dann rauf auf den Hang zu einer Felsenkirche zur Wallfahrtsmadonna, seitlich darüber die zum Teil verfallenden Steinhöhlen, wo seit dem 14. Jh. Einsiedler gelebt haben, im Sommer recht romantisch, im Winter eher nicht. Wir liegen eine Zeit lang auf unseren Decken im Gras. Was war früher, der Wallfahrtsort oder die Eremitage, was hat die Eremiten hierher getrieben? Im Grund weiß ich über Eremiten vor allem die unfrommen Geschichten aus dem Directorium Vitae; auch die Auseinandersetzungen um die evangelische Armut im „Der Name der Rose“ gehört hierher. Der Begriff von Reichtum als etwas Sündigem, Destruktivem, den die Bettelorden und Ketzer entwickelt haben, ist ziemlich gegen den liberal-marxistischen „Fortschritt“ gerichtet, was wirklich nicht gegen die Ketzer spricht. Wär eigentlich ein guter Ansatzpunkt, eine Kritik des „Reichtums“ zu versuchen.
Wir fahren weiter, wieder hinauf, Kirchen sind meistens zu, auch die kleine abseits in einem Wald, die vielleicht früher in einem Dorf gestanden ist, von dem höchstens noch ein merkwürdige Hügel zeugen, unter denen Ruinen begraben sein könnten. Bloß eine Kirche mit schöner Fassade in Ponte ist offen, weil demnächst die Samstagabendmesse beginnt. Sehr einfach und stimmungsvoll, wir sitzen vor dem Freskenfragment eines Erzengel Michaels mit einer Seelenwaage, die vermutlich was sehr Bedrohliches war für gläubige Christen. Auf der Seitenwand recht hoch oben in einem Wandkasten eine Marienstatue in besticktem weißen Gewand – sichtlich zum Herausnehmen und Mittragen, eine richtige heidnische Göttin. Ein Backofen im Freien, aufgerüstet und noch immer in Betrieb, schöner Blick auf Cerreto, dessen Bewohner mit Gewürzen und Heilmittel handelten. Von diesem Ortsnamen soll „Scharlatan“ abgeleitet sein, als die neuzeitliche Wissenschaft gegen die traditionelle, weibliche Heilkunde vorging.
Zurück in Scheggino macht sich Hedi ans Abendessen. Beim Gang zum zweiten Alimentari begegne ich Christoph und Mitzi, die schon eineinhalb Stunden vor der Zeit hier in der Bar sitzen. Cinzano gibts eh keinen zu kaufen, wir gehen runter, Hedi improvisiert einen Imbiss, wir reden über die Unterbringung, ich helfe auspacken, Hedi kocht und haben eine lange Cena mit viel Unterhaltung und schließlich noch eine Gute-Nacht-Lieder-Session, an der ich aber nicht so recht teilnehmen will, weil doch wieder durchzuschlagen scheint, dass ich nicht singen kann.
Sonntag, 20.7.2008
Keine Glockenschläge in der Nacht. Wir sind erst um halber neune morgenwach. Christoph schläft „einmal im Jahrhundert“ bis viertel zehn, dann macht er Frühstück. Feines Treffen zu viert. Hedi will dann ins Tagesprogramm, ich bin noch mit diesem Tagebuch beschäftigt. Sie fährt mit dem Rad weg, ich soll inzwischen eine Autofahrrunde zusammenstellen. Bis sie kommt, schaff ich knapp ein Programm. Sie hat Norcia, Cascia erwartet, weil ich das gestern wollte, ist unzufrieden. Schrilles Zerwürfnis. Erst in einer erstaunlich billigen Tankstellenbar (im Freien) nahe dem Lago di Piediluco finden wir wieder zu einander. Wir mieten ein Tretboot und strampeln fast eineinhalb Stunden einträchtig über den moorigen See mit der prächtigen Aussicht auf das Bergdorf Colle Sant Angelo und die Monti Sibillini sowie eine Reihe bewaldeter Hügel und Ortschaften bzw. Freizeitanlagen am Ufer, gehen nachher noch schwimmen. Hedi meint, wir schaffen noch einen Blick auf die Cascata delle Marmore, von denen ich keine Ahnung hatte – eine römische Ingenieurstat einer Flussumleitung über drei Kaskaden über fast 200m zur Sumpftrockenlegung. Die Überschwemmungen, die sie da auslösten, sind schon vergessen, die Toten verwest und vergessen, die Kaskaden, die noch zwei-, dreimal am Tag vom Kraftwerk abgezweigt werden, sind eine Attraktion Nummer eins, zu der eins nur durch einen Pulk von Standln oben und unten gelangt. Dass Eintritt zu bezahlen ist, bevor man was Natur- und Kunstwundriges zu sehen kriegt, ist eh klar. Wir sind schon spät dran, genauer: wir kommen eine halbe Stunde zu spät zum Abendessen, das für 7 angesetzt war. SMS mit der Ausrede eines Tunnelstaus. Auf Christophs Frage, wie er uns rausholen kann, möcht ich „Panzer“ schreiben, Hedi ist das zu gewalttätig, also schreib ich „Beten“. Facciamo la cena bis nach elf und bechern eifrig Christoph und Mitzis Sauvignon und unseren Romandola. Christoph gibt als erster auf, dann ich, die beiden Frauen sind auch schon verstummt, aber raufgekommen ist Hedi noch nicht. Beduselt bin ich aber auch, habe irrtümlich die paar Bilder vom See gelöscht :-(.
Montag, 21.7.2008
Noch einmal zu den Cascata, Parkplatz, 2 mal 5 Euro Eintritt, fünf Wege, wir auf den Byron-Weg, den längsten, was sonst? Das große künstliche Naturwunder wird ausgiebig vermarktet, selbst an diesem Werktag sind eine Menge Leute unterwegs. Die Zeiten der Romantik des britschen Lords sind vorbei. Erschlossen hat, ut prope ac tuto Velini lapsus in subiectum narem conspici possent, das Schauspiel schon Pius VI. 1781 mit seiner „specula“, von der aus wir wie schon ein paar hunderttausend andere nach dem hier wohl noch recht einsamen Byron auf die Wassermassen rübergeschaut haben. Zuvor aber sind wir durch den Tunnel zum „balcone degl‘ innamorati“ prozessiert. Die anderen haben aber vielleicht noch keine Erfahrung gehabt, in welch zauberhaftem Land sie leben (fast alles Italiener), ich bin aber vorsichtig und bring Hedi dazu, mit mir hinauszugehen in den Regen vom Wasserfall her und mir sogar noch ein Bussl zu geben – obwohl ihre frisch gefönte Frisur beträchtlich drunter leidet. Jedem mir vorstellbarem Aberglauben ist genug getan und wir warten drauf, dass die Cascata um drei abgeschaltet wird, was noch einmal den Besucherstrom verstärkt. Tja so wirken Natur, Technik und Fremdenverkehr aufs harmonischste zusammen. Aber was heißt es für den Aberglauben, wenn wir beim Verebben des Sturzbachs dabei sind? Na, Gottseidank, ist es ja eh nicht total, er plätschert immer noch recht romantisch runter – sollte für unser Alter doch reichen. Wir gehen ganz hinauf in die Ess-, Trink- und sonstwas-kauf-Meile und geraten auf einen Lehrpfad des ersten Kraftwerks von der vorletzten Jahrhundertwende, das die römische Anlage neu genutzt hat. Niemand außer uns ist hier unterwegs, ist denen wohl zu anstrengend, sind ja auch nicht von Hedi trainiert wie ich. Wie wir glauben, jetzt geht es nicht mehr weiter, kommt von irgendwo eine neue Markierung her, die uns über einen steinigen, rutschigen Waldweg wieder ins Teil leitet, dann auf einem Fahrweg und ein bissl abenteuerlich über eine uralte Brücke zurück zu unserem Parkplatz. Hier entschließen wir uns für einen Pranzo einzukehren. Hedis Trüffel-Spaghetti erregen ihr Entzücken, auch ich bin mit meinem umbrischen Sugo-Mix (auch ein paar Trüffelspuren drin) sehr zufrieden.
Wir fahren nach Spoleto, ich will meine Mails checken. Bei Western Union leer ich meine Mailbox ein bisschen aus und merke, dass ich dort auch mit meinem Computer arbeiten könnte. Werde ich demnächst tun. Hedi hat sich wo hingesetzt und im Baedecker geschmökert. Über die lange Bergstraße aus der Zeit, als es noch keinen Tunnel in die Valnerina gab, fahren wir zurück – und geraten prompt in Regen samt Sonnenschein. In Scheggino ist es trocken geblieben, die aufgehängte Wäsche also auch. Hedi und ich sind zum Kochen dran, Hedi mach Polenta mit Paradeisern und einem Sugo, ich eine Brotsuppe auch den hart gewordenen Stücken. Unsere Mengen überfordern uns vier bei weitem, da bleibt noch viel für die nächsten Tag oder für den Mistkübel. Wir plaudern noch, wie schon üblich, Hedi gibt Mitzi noch eine Salbe für ihre Brustschmerzen, grade eben fällt ihr aber ein, es könnte doch wie einst bei Hans was mit dem Herzen sein – hoffentlich ist es morgen besser! Hedi schläft grad ein, ich werd noch den neuen Nathan Never lesen, den ich mir unlängst schon in Spoleto fast druckfrisch gekauft hab.
Dienstag, 22.7.2008
In der Früh Donner und Blitz und schließlich auch einiges an Regen, es bleibt angenehm kühl. Beim Frühstück beschließen wir endgültig, statt einer illusionären Bertour auf den Monte Vettore eine kleine Wanderung durch die Valcasana rauf zum Dörfchen Caso zu machen. Wir fahren sogar noch bis zum Ende der Asfaltstraße an den Fischteichen, dem Schwimmbad und dem, was vielleicht einmal ein Campingplatz war, vorbei mit dem Auto hinauf. Dann plaudern wir bis nach Caso hinauf. Mitzi und Hedi finden eine Menge Gewürz- und andere schöne Pflanzen, was ich recht bewundere. Caso selber ist ein alter Borgo ohne viel Neubauten, wie es sie in Scheggino doch recht viele gibt. Laut der Tafel im Ort wären die Fresken in der Kirche sehr interessant, aber wie üblich ist der Bau dicht. Der Hintergrund der berittenen Madonna, die da vor ein paar hundert Jahren einem Jüngling von hier erschienen sein soll, war der damals von Hirten, Pilgern, Händlern und Edelleuten recht frequentierte Weg und wohl auch die Fantasien des jungen Mannes von der schönen, reichen Frau, die ihm da begegnet wäre. Bar gibt es keine, wie mir ein alter Mann, der aus seiner Wohnung kommt mit wegwerfender Geste versichert, dafür aber auch hier einen Kran wie fast überall, auch wenn niemand ihn verwendet – vielleicht pfuschen sie damit am Wochenende. auch die größten Hunde sind hier zu Hedis Beruhigung ganz friedlich. Wir machen uns an den Abstieg, die beiden Frauen schleppen uns auf eine weite, grüne, brettlebene Dolinenwiese, aber doch für zwei Paare nicht ganz groß genug, und so ganz hesiodisch lässt weder die frische Temperatur noch das offene Gelände die Frauen werden – und wie schlapp die Männer waren, blieb so verborgen. Wieder unten übernimmt Hedi das Auto, wir andern gehen zu Fuß. Das Schwimmbad ist leer, es ist auch geschlossen, stellen wir fest, nachdem wir grad beschlossen hatten, morgen einen Badetag einzulegen. In der Bottega del Borgo erklärt mir die Verkäuferin, dass es heut zu kühl war und sie daher wohl gar nicht erst aufgesperrt haben. Morgen ist es vielleicht wieder wärmer. Wir halten eine Restl-Merenda mit Polenta mit Ei, dem Rest der Brotsuppe, Käse und Paradeisern. Hedi und ich gehen mit den Liegestühlen an die Nera, ich lese Paolos schönen Aufsatz über den antiken und modernen Zynismus, dann noch auf ein Eis in die Bar. Ich zeige Hedi, wie es mit der Telefonkarte funktioniert, sie ruft Uli an, der aber nicht zu Haus ist. (s. remark) Jetzt warten wir, Hedi mit ihrem Bauch draußen auf der Terrasse und ich im Zimmer am Computer drauf, dass Christoph und Mitzi uns zur Cena rufen.
Cena mit Trüffelnudeln und Weißwein. Mitzi unzufrieden, Hedi und ich finden sie gut. Danach holt Christoph die Gitarre. Sogar ich kann unter seiner Anleitung ein wenig mitsingen bei den drei- und vierstimmingen Gesängen.
Mittwoch, 23.7.2008
In aller Früh schon mit Mitzi und Christoph in die Bäckerei, das obere Alimentari und dann in die Bar auf einen Cappuccino, während Hedi badet und Haare pflegt. Dann Frühstück daheim. Es ist frisch, wir vertragen lange Ärmel. Heute machen wir Baedecker-Zweistern-Sachen: Montefalco und Spello. Kleine umbrische Bergstädte, eine Zeit lang selbständig und stets im Geraufe mit anderen, schließlich Kirchenstaat. In Montefalco sind wir noch gute Kulturtouristen und fallen gleich in Sant‘ Agostino ein. Mitzi erkennt gleich die liegende Eva mit so einer Art Lebensbaum, der sie mit der Maria drüber verbindet. Aber was sind alle die Freskenfragmente gegen die Krippenanlage, die man für einen Euro beleuchten und bewegen kann. Das Jesusbaby zwinkert, nickt und winkt, Engerl fliegen durch die Luft, ein Esel wird beschlagen, Käse gerührt und und und, und das alles das ganze Jahr über. Das gotische Fenster am Kommunalpalast finden wir erst nach einiger Zeit, das Museo di San Francesco gleich. Ich hab schon alle Frömmigkeit verloren, als ich dort ankomme. Der Heilige Franz, der seinem riesigen Herrn den blutigen Fuß am Kreuze leckt, amüsiert mich. Ich bin für den Teufel, den die Gottesmutter wichsen will, nur dass Maria von Magdala vor dem Kreuz ihres Liebhabers in die Knie geht, rührt mich wirklich ein wenig. Dann wollen wir Wein verkosten, wie es im Baedecker steht. Im Geschäft am Hauptplatz kaufen Christoph und Mitze zwar einen Karton Wein, aber zu kosten gibt es nichts. Wir gehen trotzdem am selben Platz bei einer anderen Eonteca Mittag essen. Wir habens nicht erwartet, aber es schmeckt ausgezeichnet, die Trüffel-, Paradeiser- und Aufstrichbrote, Hedis von Käse bedecktes gebratenes Gemüse, meine handgezogenen Stronzini alla Carbonara und auch die Gemüseomeletts von M.& C. Auch der Tischwein ist ein Gewinn, und MitziChristoph erstehen hier noch einen Karton davon. Ich bin inzwischen runter zum Parkplatz geeilt, weil wir schon eine halbe Stunde nicht zahlend dort parken – niemand hat sich drum gekümmert und ich hör mir die Carmina Burana an, bis die andern kommen. Sie haben eine Siesta ins Auge gefasst. Wir fahren durch die Gegend bis zum Monte Subasio, bis wir in schöner, recht einsamer Gegend uns in einem Olivenhain hinlegen und ein bisschen schlafen. Spello ist dann ein Baedecker-Muss, aber wir verschmähen schon jede Kunst, auch den Pinturicchio oder wie der heißt, dem sie eine Ausstellung widmen, die hier in Spello darin besteht, dass sie in einer Kirche einen Teil nur noch gegen Bares anschauen lassen, weil der Maler heuer eben Saison hat. Hedi und ich sitzen noch in einem Kaffeehausgarten, ich freu mich über ein junges Liebespaar am Nebentisch und wir schauen enspannt in die schöne Gegend.
Was noch zu tun ist: Tanken, einen Supermarkt suchen und Geld dort lassen. Ich überlass zweiteres den andern und hör mir Paolo Conte im Auto an, chauffiere uns dann heim. Wir sitzen wie üblich auf der Terrasse, essen dies und das und lassen Mitzi von ihrer Kindheit und Jugend viel erzählen. Uli ist mit Kerstin und Oliver in Wiesmath, was mir auch recht lieb ist.
Donnerstag, 24.7.2008
Bin heute vormittag nach Spoleto gefahren, die Streifzüge-HP pflegen. Gulo hat mir ein paar Sachen geschickt. Hat sich gezogen, auch ein bissl Nachrichten geschaut – Karadzic hat als Eso-Doktor ganz öffentlich und unerkannt in Serbien gelebt, bei seinen Patienten, seinen Zuhörern bei seinen Vorträgen und bei Interviews hochgeachtet. Bin danach wieder rauf zum Duomo, Blick auf die Lobhudel-Inschriften für die Päpste – eine jämmerliche Sache. Lippis Verkündigung das beste von seiner Ausmalung der Apsis, da bahnt sich schon Sinnlichkeit in der Malerei an. Grabplatte mit Inschrift, deren Beginn Ovids „Editus hinc ego sum“ echot und das Ideal, der Natur nachzueifern, mit ihr gleich zu ziehen, verkündet, dass sich dann (wohl durchaus mit Bezug auf Lippi) auf dem Raffael-Grab wieder findet. Dass die Natur so offen daliegt, der Glaube daran ist heute auch schon äußerst ramponiert, ja überhaupt, dass es eine gebe. Noch einmal ein Blick auf das 1860-1910 Denkmal und ein besseres Bild. Der dämonische Mascherone visavis passt wirklich besser zu meiner Lesart wie die offiziell intendierte. Beim Runtergehen noch einmal in die Western Union für noch ein update, das mir eingefallen ist.
Hedwig war am Vormittag Radfahren, sie war recht erfreut von Sant‘ Anatolia und hat Mittagessen hergerichtet. Danach gehen MitziChristoph ins Bad, Hedi will Siesta machen. Ich warte auf dem Bett, sie liest aber auf der Terrasse ihren Krimi, ich gehe nach ins Bad, schwimme gern und lese wieder einmal in Lepschys Italienisch-Grammatik und einen Aufsatz der Frauenstiftung im Solidarökonimie-Buch. Dass ich danach nicht mit Hedi noch ein bissl wandern will, bringt eine längere Verstimmung, zum Abendessen wird es wieder gut. Jetzt sitzt Hedi mit Mitzi auf der Terrasse, Christoph ist schlafen gegangen und ich werde Massimo und Sonia anrufen, damit wir uns noch mit ihnen treffen.
Freitag, 25.7.2008
In der Früh wollen MitziChristoph nicht gleich wandern gehen, wie am Abend angeblich ausgemacht, sondern zuerst nach Spoleto auf den Markt. Bringt Hedi und mich irgendwie auf den Gang der Verstimmung. Wir sind bös aufeinander, dauert ziemlich lang. Dann aber schaffen wir es und machen uns auf den Weg: Mit dem Auto nach Ceselli und ein Stück rauf nach Monte San Vito, dann wandern wir einträchtig und erfreut hinauf zum Borgo, der über 900 Meter hoch liegt und grad auf die Sagra, den Kirtag, vorbereitet wird. Wir wandern durch die paar Gassen, grüßen alle Leute, finden eine offene kleine Kirche (die Pfarrkirche ist eh verschlossen). Das Fresko an der Altarwand ist witzig: Das Jesuskind auf der Frau Mama lacht richtig, die Frauen auf der rechten Seite tun verschmitzt mit, nur die Herren links wahren das Gesicht. Leider keinen Fotoapparat mit. Wir sitzen noch auf einem Bankerl bei den zwei Festzelten, die Straße wird maschinell gekehrt, eine junge Familie spielt am kleinen Ringelspiel, sehr beruhigend für uns. Runter zum Mittagessen, MitziChristoph haben in Spoleto nur einen Fetzenmarkt, keine Lebensmittel vorgefunden. Hedi und ich fahren rauf nach Sant Anatolia und gehen an der Nera rauf nach San Felice – eine alte Abtei, mit einer (o Wunder) offenen Kirche aus dem 12./13. Jahrhundert, die erst 1922 oder so wieder ein bissl in Schuss gebracht wurde. Wunderhübsch. Wir wandern durch einen neu mit Bankerl, Tischen und Wegen versehenen, aber ganz ungepflegten und fast schon wieder zugewachsenen Park hinauf zum Borgo – wie so oft hier ganz mittelalterlich und doch ziemlich belebt, dann noch einmal hinunter zur Abteikirche, laut Beschreibung auf der Tafel das erste Benediktinerkloster (noch vor Monte Cassino?). In der Krypta packt es dann Hedi und sie ist bereit zum Hieros Gamos. Einfach schön. Am Abend gehen wir in die Osteria BACCIAFEMMINE und tafeln Länge mal Breite ein Fischmenu durchmischt mit Nichtfischigem für Mitzi. Wir haben die beiden eingeladen, aber Christoph zahlt heimlich zuerst. Er sagt, seine Bank regelt sowas immer. Naja.
Samstag, 26.7.2008
Annatag! Aber kein Kirtag, der ist mit meiner Mama für mich dahin. Wir fahren nach Arezzo zum Treffen mit Sonia, Massimo und Paolo. Gleich nach der Grenze am Trasimeno ist die Straße nach Cortona von Pinien gesäumt, damit wir’s wissen, dass hier Toskana ist. In Arezzo angekommen laufen wir leider am großen Stand mit den Comics vorbei, Hedi muss aufs Klo und will das nur am Domplatz oben erledigen, den wir im Lauf erreichen müssen. Unsere Italiani sind schon da. Massimo ist wie wir das zweite Mal in Arezzo, Sonia und Paolo das erste Mal. Alle drei sind Toscani! Und Massimo und Sonia waren eben 12 Tage in der verregnetetn Bretagne. Paolo hat für mich sein neues Buch, L’Ombra Corsara di Menippo, wir bekommen sogar eine autographische Widmung. Mit einer Stelle an einer Uni wird es aber (noch) nichts, er macht grad seine „Habilitation“ fürs Liceo, da sind seine Chancen viel besser, sagt er. Sonia hat auch keine Sprachschule mehr, unterrichtet an einer Scuola Media Spanisch und weiß nicht, ob sie im Herbst wieder eine Stelle hat. Bloß Massimo ist bei seiner Spedition einigermaßen fix. Und viel verdienen hier Lehrer offenbar nicht. Sonia hat letztes Jahr 12x 1200 bekommen. Wir kommen uns recht reich vor, ich zahle dann den pranzo so heimlich wie gestern Christoph unsere Cena. Wir schauen uns den Dom an, ist grad Hochzeit in der Seitenkapelle, das Ave Maria von Bach-Gunod bringt auch die Touristen inkl. Hedi zum Schmelzen und auch der Schmachtfetzen am Ende. Piazza Grande, wo sie einen Teil von „Das Leben ist schön“ gedreht haben. Massimo liest aus einem Prospekt vor. Es ist sauheiß, mein Hemd klebt an mir. Wir flüchten in die nächste Kirche. Der Mesner ist nervös, die Touristen sollen nicht die Vorbereitungen für die Nozze stören, die demnächst auch hier in Szene geht. Aber es ist kühl hier, wir lassen nicht vertreiben. Die Fassade fotografier ich, wie wir wieder draußen sind, sie ist gar zu merkwürdig, viel mehr Palazzo als Kirche. Zum Amphitheater können wir nicht hin, es gehört zum Museo Archeologico (das ich wiedererkenne), aber der Park davor ist angenehm. Ein verwirrter Mann hält uns eine Rede, wir entscheiden uns dafür, ihn nicht zu beachten, bis er aufgibt und geht. Nicht nett, aber was sonst sollen wir tun? Wir plaudern noch über dies und das, Hedi macht wacker Smalltalk auf Italienisch. Paolo muss auf Englisch publizieren, sagen wir ihm, dann kriegt er leichter einer Professur. Auch Sprachassistent in Wien zu werden für ein Jahr, interessiert ihn. Hedi will Susi Sobernig fragen, wie man so was wird. Schließlich verabschieden wir uns mit baci kreuz und quer, Massimo sagt, sie werden wieder einmal bei uns vorbeischauen, wenn sie auch den Norbert in Nürnberg besuchen. Auch Paolo scheint sichs auf Wien zu stehen. Zu einem Gespräch über die Lage in Italien, die Perspektiven der Kritik etc. kommen wir nicht. Einerseits sind die Frauen nicht dran interessiert, andererseits ist es viel zu heiß. Hedi und ich gehen in Richtung Auto, der große Comics-Stand hat zu, ich unterdrücke einen Streitimpuls. Wir fahren los und Hedi steigt auf meinen halblauten Wunsch, raufzuschauen nach Cortona ein. Alles, woran ich mich erinnere von 1977, ist die Aussicht auf das Tibertal und der candelabro. Hedi ist für eine Begrenzung auf eine halbe Stunde und harrt brav aus auf dem Platz vor dem Municipio (?) mit ihrem Tonic-Wasser. Ich glaub, ich kann noch rauf auf den „Gipfel“ der Stadt, geb es aber nach ein paar Minuten auf, es ist einfach zu weit. Durch ein paar Gassl wieder runter. Fotos von der Volksabstimmungsinschrift von 1860 (ein neuer Typ Denkmal) und vom Umberto I., der saublöd ausschaut mit seinem Riesenschnauzer und den man offenbar umgebracht hat, was in der Inschrift so verflucht wie die Leiche selbst gewürdigt wird. Meinen Ausblick auf das weite Tibertal find ich beim Parkplatz doch noch, aber die hier und da angeschriebenen Etruskergräber bring ich nicht mehr ins Gespräch. Es ist heiß und ich will sicher nimmer streiten. Auch sind die sicher nicht so sexy wie die Krypta. Zurück in Scheggino kriegen wir von MitziChristoph ein Abendessen und sagen den Kirtag auf Monte San Vito für Samstag einmal ab.
Sonntag, 27.7.2008
Christoph hat einen Hexenschuss und bleibt im Bett. Hedi lässt mich meinen Samstagseintrag tun und drängt erst dann zart auf einen kleinen Fußmarsch von San Felice nach Vallo di Nera. Es schaut zwar ganz nach Gewitter aus, aber wir machen uns auf den Weg, an der Abtei vorbei, kurz den Fluss entlang, dann aufwärts, denn Vallo liegt doch so 170m höher. Nach kurzem beginnt es zu regnen. Ich willige ein, dass wir weitergehen. Wir werden total nass, aber der Regen ist warm und wir sind flott unterwegs. Für Handy, Uhr und Fotoapparat hat Hedi ihre Tupperware-Lösung. Das Bergdorf taucht auf, malerisch wie hier ja schon gewohnt. Laut Baedecker eins der schönsten Dörfer Umbriens. Bei der ersten Kirche (so ein umbrisches Dorf hat immer ein paar davon), noch ein bissl außerhalb stellen wir uns eine Zeit lang unter. Durch die Holzgitterstäbe sehen wir – Fresken, was sonst. Der Regen lässt nach, wir stoßen vor ins Dorf, zur nächsten Kirche, vor er ein langer gedeckter Vorbau steht, unter dem auch ein Paar in unserem Alte wartet. Die beiden sind aus der Nähe, aus Assisi. Er sagt, dass die Umbrer Umbrien nicht kennen, weil sie auf die Malediven fahren. Naja, das ist wohl keine umbrische Spezialität, trifft ja auch auf uns mutatis mutandis zu und hält schließlich den Tourismus in Schwung und den Verkehr usw., ist extrem wichtig für die Arbeitsplätze, das Selbstgefühl und das Ende der Welt. Für dieses hat die Kirche eine deutliche Affinität, und die Pfarrkirche war noch vor kurzem offen, sagen uns die beiden Umbri. Wir gehen durch die Gässchen rauf und runter hin. Auf dem Vorplatz tratschen ein paar Leut, darunter ein Gstörter, der aber in die Gruppe integriert scheint. Ja, in die Kirche kann man rein, sagen sie uns, wir sollen seitlich vorgehen. Ein alter kleiner Kreuzgang, an einer Seite sind die Kolonnaden vermauert. Die Kirche voller Fresken, wie immer vor nicht allzu langer Zeit renoviert, und hier bedecken sie wirklich noch den Großteil aller Wände. Ein buntes Gewimmel aller möglichen Szenen, was aber ins Auge sticht, ist der Umstand, dass da mindestens zehn-, zwölfmal die Madonna mit dem Kind zu sehen ist, ein paar mal, wie sie den Butz säugt, was laut dem Umbro von der zweiten Kirche für die Gegend typisch ist. Hedi ist dazu ganz respektlos „formaggio“ eingefallen. Ich knips mich weg. Warum das aber so ist, bleibt unbeantwortet. Touristenschicksal, der Baedecker sagt nix dazu (ist überhaupt eine ungemein oberflächliche Sache), fragen tun wir niemand, also bleiben wir dumm, was aber eh nur auffiele, wenn uns wer fragen tät. Na vielleicht lauf ich dafür noch ein bissl im Cyberspace herum, wenn ich das noch einmal les. Für den Fall notier ich gleich, dass ich versuchen könnte, die fehlenden Nathan Nevers über den Verlag sergio bonelli oder sonstwie antiquarisch aufzutreiben :-). Die Leut vor der Kirche stehn noch immer beieinander, schließlich regnet es grad nimmer. Wir steigen rauf zur Hügelkuppe – noch eine Kirche, die aber ist wieder zu, hübscher, einsamer Vorplatz, nur zwei Touristen da, die auch gelesen haben dürfte, dass das Umbriens schönstes Dorf ist. Am aufgesetzten Glockenturm wächst ein Bäumchen aus dem Gemäuer. Wir sehen von oben den Hinweis, dass es hier eine Locanda gibt. Hedi hat nur ganz nebenbei ein bisschen Einwände, dass ich mich nicht mit den Birnen und Melonenstückchen zufrieden geb, die sie – Tupperware natürlich – im Rucksack hat. Die Gartenterrasse der Locanda (Hotel und Restaurant, Verkauf von prodotti tipici) ist wunderhübsch, eine Großfamilie feiert irgendwas, ein paar kleinere pranzen auch. Die Kellnerin meint, dass wir spät dran seien, ist aber gnädig. Wir wünschen uns gnocchi mit Linsen, bekommen aber sozusagen als Bestandteil des Gedecks noch Käs als Antipasto. Vielleicht hat Hedi ja recht mit dem Bezug auf den Busen der Madonna. Auch noch ein Flasche Aqua naturale und zwei Achterl Weißer sind drinnen in den € 25, die wir zahlen. Den Wolken ist zuzutrauen, dass sie jederzeit wieder losregnen, blitzen, donnern. Wir sind ein bissl trockener und laufen um die Wette zurück nach San Felice. Es tröpfelt bloss, bis wir zum Parkplatz unterhalb der Kirche kommen. Für ein neues Vergnügen in der Krypta bin ich nicht mehr junghappig genug.
A casa versucht Christoph grad einen Gang zur Bar, sie kommen gleich zurück, es fällt ihm doch noch zu schwer. Die beiden setzen sich ans Fenster und schauen Kanal, Nera und den Leuten zu. Ich überspiel die vielen Madonnen und so auf den Computer, auch ein paar Trüfelnudeln von Mitzi erbe ich. Heute telefoniert Hedwig mit Uli, er war heute noch nicht draußen, keine gute Nachricht. Schließlich machen Hedi und ich uns auf zur Sagra auf Monte San Vito. Wir parken als letztes Auto auf der Straße und stapfen rauf. Ein junger Mann erklärt uns: Wir bekommen eine Speiskarte, kreuzen an, was wir wollen, gehen zur Kassa, die lassen uns zahlen und der/die Kellern(in) holen sich den Zettel dann von unserem Platz und bringen das Bestellte. Wir tuns, und wirklich kommt gleich ein füllig-energisches Teenagermädchen im Leiberl der Associazione degli amici di Monte San Vito und beginnt die Prozedur: zuerst Bier und Wasser, dann Lammspieße (genau wie Suvlaki in Griechenland) und das Schweinskotelett, dann die Pommes frittes und den Salat, schließlich noch die Dolci, nix davon zu früh, stets mit dem Blick, was dran ist. Und dass wir die Plastikteller zusammenräumen, damit sie’s leichter hat, wehrt sie energisch ab: Das ist ihr Job und: Voi mangate! Wir folgen brav. Wir warten noch auf die Nachspeis, da beginnen sie schon freigewordene Heurigentische und -bänke wegzutragen. Zuerst wird gegessen, dann macht man Platz für Musik und Tanz. Wer noch was will, soll ins zweite Zelt gehen. Wir machen, wie viele andere Gäste, einen Spaziergang durch das Dorf. Da arbeiten glatt noch zwei junge Männer Sonntag nachts an einer Terrasse, Kinder laufen um, Leute sitzen vor den Häusern. Die Ex-Pfarrkirche ist offen, kein einziges Fresko, Fahne und Kreuz und so von der Prozession am Nachmittag stehen um, Blumen, hell beleuchtet. Ich interessiere mich für ein paar gerahmte Votivbilder an der Rückwand. Sie stammen aus dem WKII, von Eltern, die mit einem Bild von ihrem Sohn von der Madonna dessen gesunde Rückkehr wünschen. Auf einem solls auch noch eine siegreiche sein, auf einem anderen mit einem Foto aus Lazarett weiß die Mutter deutlich besser, was noch drin ist. Auch ein größeres Bild von einem Erzbischof von Spoleto hängt hier, der auf seiner Flucht vor den Revolutionären im März 1831 hier im damals noch Pfarr-Haus als Gast des Don Irgendwie genächtigt hat, damit er dann 1846 als Pio IX. Papst werden und den Kirchenstaat endgültig verlieren kann. Wir kehren zu unserm Zelt zurück, die Musik spielt schon, an der Rändern sitzen ein paar meist ältere Leute auf den Bänken, zwei drei Paare tanzen Ländliches. Eine junge Frau singt, ein ebensolcher Mann spielt Ziehharmonika. Schaut ein bissl nach Abkommen aus. Wir setzen uns dazu. Beim einzigen Tango hätten wir fast getanzt:-). Aber binnen einer halben Stunde ändert sich das Bild. Die Tänzer werden immer mehr, auch junge. Die Paare wechseln, viele Männer, nur wenige Frauen tanzen miteinander. Immer wieder Gruppentänze, jung und alt, zwei kleine Mädchen lernen eifrig miteinander tanzend. Ein dürrer, bäuerlicher Mann hüpft tanzend mit wechselnden Partnerinnen ganz verrückt herum, er greift sich schließlich das Mikrofon und verlangt Applaus für die und den und alle zusammen, die für das Fest was getan haben. Ich versteh kaum was, er redet viel Dialekt. Schließlich schnappt ihm die Sängerin wieder das Mikro weg und es geht weiter. Wie wir grad gehen, ziemlich beeindruckt von der Tanzerei und der immer ausgelasseneren Stimmung, will der Bauer auch noch mit Hedwig tanzen. Sie will nicht, er akzeptiert sofort und sucht sich eine andere. Zu Haus ist es schon still, Mitzi und der Ammalatto liegen schon im Bett. Wir auch gleich.
Montag, 28.7.2008
Cascia und Norcia haben wir heut auf dem Programm. Wir fahren über Sant‘ Anatolia di Narco rauf nach Caso. Eine Viertelstunde lang ist die Straße weiter oben gesperrt und wir können den Arbeitern zusehen, wie Schutznetze gegen Steinschlag verlegt werden. Vor allem Hedi ist von der Gefährlichkeit der Arbeit auf der Steilwang schwer beeindruckt. In Caso bauen sie eben den Kran ab, in Gavelli bleiben wir stehen und gehen wieder durch den Borgo. Diesmal haben wir Glück mit der Kirche – der alte Mann, der die Schlüssel hat, ist zu Haus, sperrt uns bereitwillig auf und macht Licht. Die Wände sind völlig von Fresken bedeckt. Da wir nicht weiß Gott wie viel Zeit haben, knipse ich mich weg. Auch hier gibt es die Madonna mit dem Kind vielfach, öfter jedenfalls als Kreuz und Auferstehung. Die sanfte Magna Mater ist mir sowieso viel angenehmer. Wie weit diese Dominanz hier wohl zurückgeht? Aus der Kirch heraus begegnet uns die Frau des Schlüsselgewaltigen bei einem unverständlichen Holzgestell. Alles, was ich verstehe, ist, dass es mit den Schafen zu tun hat, ob mit dem Scheren oder aber mit dem Schlachten, krieg ich nicht mit bei ihrem starken Akzent oder Dialekt. Auch den Bruder des Alten sehen wir wieder und ich erzähle ihm, dass wir diesmal in der Kirche waren. Dass wir Austriaci aus Wien sind, scheint ihn zu freuen.
Wir kurven weiter nach Cascia. Es ist ein Wallfahrtsort einer merkwürdigen Heiligen. Santa Rita, gegen ihren Willen verheiratet, erfolgreich für den Tod ihrer Söhne gebetet, damit sie keinen Mord begehen können, dann im Kloster den Rest des Lebens gebüßt, mit einem Dorn der Krone Jesu in der Stirn. Patronin der aussichtlosen Fälle. Auf dem Parkplatz stehen neben uns Polen. Scheint uns irgendwie logisch. Auf der Pilgermeile zum Santuario präsentiert sich die Pilgerinfrastruktur einer gähnenden Leere. Am Montag geht man nicht ins Museum, Wallfahren auch nicht. In der Kirche, die man der Santa Rita bezeichnenderweise 1937 – 1947 hingestellt hat, ist es so blau wie in einer Moschee, auch die Säulen passen zu diesem ersten Eindruck. Kaum wer drin und von den Anwesenden sind einige so Touristen wie wir. Hinter einer Gitterwand der Schrein mit der heiligen Leiche. Zum Spenden kann mit der Hand durchs Gitter. Kerzerl anzünden ist nicht, aber man kann für Kerzerl spenden. Wo die wer anzündet, versteh ich nicht. Hinter den Spendenschlitzen Votivvitrinen mit den wundersam gewendeten Aussichtslosigkeiten. Ein Bild von einem vor irgendwas Schlimmem bewahrtem Kind. Ein Stück weiter ein Fußballpokal mit Vereinsfahne. Wir sind beeindruckt, haben genug gesehen und gehen zurück zum Auto.
Auf geht’s nach Nursia/Norcia. Der Benedikt interessiert mich. Die Stadt ist klein und zum größten Teil hinter alten Mauern. Die Häuser sind dank wiederholter Erdbeben ungewöhnlich neu, kaum was älter als barock. Schöne, grade Fußgängerstraße vom Stadttor zum Hauptplatz mit dem Stadtheiligen in der Mitte. Sie heißt Corso Sertorio – ob sie was mit dem Bürgerkriegsgeneral zu tun hat, der sich gegen Pompeius Spanien unter den Nagel gerissen hatte und schließlich nach den Inseln der Seligen in See gestochen sein soll. Wir gehen ein bissl seitlich ab, Hedi merkt ein Lokal für den Pranzo vor: Es hat den si mangia piu e si spende meno – Preis 2007. Auf dem großen Platz in der Mitte das Denkmal. Der Mönch schaut nicht sympathisch aus. In einer Sekundärinschrift ist vermerkt, dass ihn der 12er Pius zum Patron des christlichen Europa ernannt hat. Die Chiesa, ein Rathaus und eine feste Burg für den Statthalter, der sichtlich ein Sicherheitsproblem hatte, stehen rundherum. Im Kircheneingang erfahren wir auf dem Fußboden, dass Sanctus Benedictus 2000 zum Schirmherrn Europas überhaupt avanciert ist. Der Bau ist barock und wahrlich keine Offenbarung, auch der Schwesternbau der Scholastika nicht. Wir gehen essen. Ich bin recht zufrieden, Hedi hat feinen Geschmack und leidet ein bissl. Dann um Kaffee und Eis zurück auf die Piazzo. Hedi wollt es, sie wird aber wenig später drunter leiden. Ein Wegweiser zu San Lorenzo. Ist der älteste Bau in town – 5.Jh., klein aber fein, wir eilen hin. Tor offen, dahinter ein Gitter, wir sehen rein – ein Chinese gibt einem Mädchen vor dem Hochaltar Klavierunterricht. Gleich hinter unserm Gitter steht ein Madonna vom Fatimatyp und ein Tablett mit Kerzen, um 0,50 das Stück, die Bänke weiter innen sind ziemlich hin. Draußen im Schaukasten hängen Zettel, die den Zustand klären. Ich nehm mir nicht die Zeit zum Lesen, fotografieren aber tu ichs. Zurück zum Auto, sind eh schon wieder zwanzig Minuten über der bezahlten Zeit.
Hedi hat noch Preci und Sant‘ Eutizio vorgeschlagen. Ins Dorf gehen wir nicht hinein, aber die Abtei suchen wir auf. Hedi möchte den letzten halben Kilometer zu Fuß gehen. Für mich nimmt sie Decken mit für eine Siesta. Es hat aber geregnet, auf der Wiese würden wir waschelnass. Ich werd es sowieso, weil ich derart schwitze, dass das Hemd an mit klebt. Aber Hedi sagt, Schweiß ist geruchlos. Wenn ich also stinke, kann das nur daher kommen, dass ich zu wenig lang geduscht hab in der Früh. Die Abtei schaut sehr burgig aus, war im Mittelalter einmal mächtig und eine Art Hochschule der traditionellen Medizin. Die Kirche ähnelt der von San Felice, ansonsten ist die Anlage aber recht klein, entweder weil ein Teil der Gebäude verschwunden sind oder weil die Größe mitellalterlicher Klöster durch ihre späteren Zubauten zustandekommt. Hedi beobachtet recht lang einen Pfau, der mit seinem Rad vergeblich vor einem Weibchen posiert, das von ihm in eine Ecke gedrängt ist, den Herrn aber standhaft ignoriert. Das Museum spritz ich, beim Runtergehen sinnieren wir über Kräutermedizin und dass sie so schlecht in unsere Lebensweise passt, auf stabilitas loci und ein Mitleben mit den Zeiten der Natur ausgeht.
Wir fahren runter durch die Valnerina, ein Autofahrer warnt mit der Lichthupe, in einer Tankstelle stehen Carabinieri, die eben merken, dass alle Autofahrer diszipliniert 50 fahren, und natürlich wissen, woher das kommt. Sie fahren ab, wir wollen tanken, aber es gibt nur Gas. Wir fahren auch weiter. Christoph ist wieder einigermaßen beweglich. Sie wollen am Dienstag in der Früh fahren. Hedi sagt, ich soll den Don Rinaldo, der die Schlüssel von San Pietro in Valle hat, anrufen. Ich tu’s, er ist wirklich dran, ich mach Dienstag 10 Uhr aus. MitziChristoph schwanken, sind aber schließlich fürs Abfahren. Am Tisch auf der Terrasse kommen wir auf unsere Wehwehchen zu reden: Christophs Lumbago, dass Mitzi vom Wind und den Blumen Kopfweh hat, Hedi nicht gut schläft. Auch ich werd einbezogen, weil mich allein die Gelsen stechen, die Hedi aber nicht sieht und daher Sinistreres vermutet. MiChr führen es auf das Haus und Problemen, die Leute hier einmal gehabt haben, zurück. Christoph ist Geisterseher und rückt damit heraus, dass es etwas mit einem Buckligen zu tun habe, der hier einmal gelitten hat und dem er begegnet ist. Hedi steigt voll ein, ich verstumme. Ich halt zwar weit mehr für real als „moderner Wissenschaft“ so unterkommt, bin aber skeptisch, wenn auf einmal sich meine „Pusteln“ und alles, was da so an Unzukömmlichem sich ergibt, so in einem Aufwaschen wegerklärt zu werden scheint. Alle hoffen wir auf die Sage, die Hedi im Heft über Scheggino gefunden hat, aber der Gnom dort hat vielleicht einen Buckel, jedoch keine Probleme und die Orchi werden von ihm mit Hilfe einer Forelle durch schwarze Trüffeln gerettet.
Uli war schon in der Josefstädterstraße, hat Post besorgt, Blumen und den Garten gegossen. Renato ruft an, sie sind zurück, wir sind für Dienstag eingeladen nach Perugia. Hedi ist es zu steil, ich werde absagen. Wir kommen noch auf Servas zu reden, Mitzi meint, es kommt für sie nicht in Frage, Hedi bestärkt sie und erzählt, wie sehr sie die letzten Besuche belastet haben. Wir gehen schlafen und hoffen auf Entlastung.
Dienstag, 29.07.2008
Letzter voller Tag hier. MiChr fahren schon heute, räumen ihr Zeug ins Auto, wir bussen einander, sie gehen zur Apotheke was für Christophs Lumbago tun. Hedi und ich machen uns auf den Weg zur Abbazia, 10 Uhr ist mit Don Rinaldo ausgemacht. Die Geschichte beginnt mit einem Spoletiner Langobardenherzog aus dem 7. Jahrhundert. Bau der heutigen Abtei aber erst, nachdem die Sarazenen hier gehaust haben, also so 11.Jh. Der Pfarrer kommt pünktlich mit seinem Fiat, trotz Fahrverbot, sperrt auf – ein paar Leute aus dem Hotel sind schon durch den Seiteneingang aus dem Kreuzgang, wo man speist, herauf. Bis auf die Kirche ist die Anlage (gar nicht sehr groß, siehe San Eutizio) heute privatisiert – ein Hotel und Restaurant. Fotografieren ist verboten, es gibt Ansichtskarten und einen Kirchenführer zu kaufen, obwohl das Ding viel weniger Fresken erhalten hat als so manche Dorfkirche, dafür sind die oberen halt aus dem 11. Jh. und links und rechts vom Altar (langobardische Lettnertrümmer, die sie im 19.Jh. eingemauert haben) stehen zwei antike Sarkophag aus dem 2./3.Jh., der rechte davon soll dem bewussten Langobardenherzog gehören, der hier gelebt hat, nachdem sein Sohne „die Macht ergriffen hatte“, was immer diese Baedecker-Bemerkung heißen soll. Der Kirchenpatron Petrus kommt nur sehr stiefmütterlich mit einem schmalen Fresko rechts vom Altar vor, die Madonna mit dem Kind aber trotz der relativ wenigen Fresken mindestens 6 mal. Immer wieder kommt mir der Gedanke, wie die Herren damals bis heute die biblischen Geschichten aufgenommen haben, die doch oft von Armen handeln und in denen ja wirklich zuweilen eher das Kamel durchs Nadelöhr als der Reiche in den Himmel eingehen soll.
Hedi kauft ausnahmsweise eine Geschichte der Abtei und ein paar Ansichtskarten, auch € 5,- offerta fürs Erscheinen des Don liefern wir ab. Draußen wollen wir uns an die Mauer setzen und ein bissl den alten Platz genießen, aber es ist immer noch saunass vom Regen gestern. Wir fahren wieder runter, finden Terni-wärts eine Tankstelle und fahren dann wieder heim ins leere Haus. Renato sage ich ab, nein, wir kommen heute nicht nach Perugia, Giuliana, die wir nicht kennengelernt haben, redet noch eine Weile auf Französisch mit Hedi, wahrscheinlich kommen die beiden zu Weihnachten noch auf ein paar Tage. Hedi ist hundemüde, vor allem aber ist es der despressive Hausgeist, der uns streiten lässt. Jedenfalls einigen wir uns drauf, nachdem wir nicht und nicht eine andere gemeinsame Erklärung gefunden haben. Jedenfalls geht Hedi friedlich schlafen, ich decke sie noch zu, lese noch eine Weile in Paolos interessantem Buch vom Schatten der Menippea, der wie ein Korsar durch die Geschichte streift. Dann leg ich mich zu Hedi, erst um sechs stehen wir wieder auf, machen Gemüsesuppe und essen sie mit Käs und Schinken. Ich wasche ab, Hedi schreibt weiter Karten und teilt den eher Aufgeschlossenen mit, dass wir hier einen Poltergeist haben. Jetzt räumen wir schon unser Zeug ein und wollen noch einmal durchs Dorf gehen. Schließlich war Hedi heut noch im Palazzo Comunale, und so haben wir am letzten Tag doch noch erfahren, was wir alles selbst in diesem Borgo noch hätten sehen können.
Mittwoch, 30.7.2008
Wir fangen gleich nach dem Aufstehen damit an, zu putzen. Unter der Eingangstür finde ich einen schwarzen Skorpion, der sich zunächst nicht rührt. Erst nach einiger Zeit läuft er ein Stück weit und verharrt dann wieder reglos. Hedwig bekommt einen nachträglichen Schrecken, weil sie immer barfuß herumgelaufen ist. Ich zertrete das Vieh. Hedi meint, vielleicht stellt es sich wieder nur tot. Wir werfen die Leiche auf die Straße und Hedwig vergewissert sich noch ein paar Mal, dass es sich wirklich nicht rührt. Schließlich gehen wir noch frühstücken in die Bar, packen das Auto voll und machen uns auf den Weg. Hedi achtet darauf, dass wir genügend Pausen machen und fürchtet sich gehörig vor dem Verkehr, auch wenn ich fahre. Wir haben die SMS-Einladung von MiChr angenommen, zu ihnen nach Prepotto im Friuli zu kommen. Wir finden den Ort und mit Hilfe eines Weinbauern auch das Haus in der Località Canta mühelos. Die beiden freuen sich wirklich, uns zu sehen. Ihr Bed&Breakfast Wirt Sergio ist mit Frau Laura eifrig beim Kochen der Cena, mit der er angeblich „gute Figur“ machen will. Er ist pensionierter Polizist der Guardia di Finanza, liebt Latein, hat eine solche Renovierungsinschrift von 1982 auf dem Haus und ein sinistres „Nulla fluat quin doctura“ über einem kleinen Brunnen an der Wand. Die Wirtsleute sind ungemein dienstbeflissen, er trägt unser Gepäck ins Zimmer hinauf, Laura bringt auch gleich einen Gelsenstecker. In der Küche werden wir mit Wein begrüßt. MiChr fahren mit uns in ihrem Bus das grüne Tal hinauf, dessen andere Seite schon slowenisch ist. Aber viel Kontakt scheint es da noch immer nicht zu geben. An einer idyllischen Stelle, wo der Bach über einen Felsen herunter rinnt und einen kleinen Teich bildet, gehen wir nack baden. MiChr’s Begeisterung steckt uns an. Die Cena ist fleischlos köstlich, das meiste stammt aus dem eigenen Garten. Auch unsere Wirtsleut haben einiges auf dem Buckl – die Tochter kann/will nicht arbeiten, ihr Mann auch nicht, die Enkelin Caterina, nach der die Casa Caterina benannt ist, wächst größtenteils bei den Großeltern auf. Sie ist ein herziges neunjähriges Mäderl, das mit der Freundin herumläuft, bei der Cena Kellnerin spielt. Cicco, ein kleiner Dauerkläffer ist ihrer. Wir tratschen und lachen, Christoph ist aber sehr müde und geht als erster ins Bett. Hedi und ich gehen noch ein bisschen spazieren durch Einschicht und Nacht, dann ci addormentiamo anche noi. Hedi schläft weiter schlecht, ich wie meistens um einiges besser. Frühstück auf der Terrasse, Caterina fährt zum Ferienspiel nach Cividale, am Schluss noch ein wenig Geplärr und Hektik. Bald kommt sie mit der Freundin und deren Mama strahlend im Auto wieder und holt die vergessenen pattini fürs Inlineskaten. Der Sohn ist auch da, er ist Jurastudent und offenbar ein Trost seiner Eltern. MiChr wollen, dass wir mit ihnen wiederkommen und das den Wirtsleuten auch sagen. Tun wir. Hedi und ich entscheiden uns, dass wir über Slowenien fahren. Die Autobahn ist nur fast fertig, einige Kilometer geht es im Lkw-Verkehr über eine recht enge Bergstraße, vor Laibach bremst uns ein Unfall, knapp vor Marburg biegen wir falsch ein und müssen mit einem kleinen Umweg korrigieren. Uli ruft heute dauernd an, was kein gutes Zeichen ist. Nach sieben Stunden sind wir um 6 daheim, packen aus, Hedi stürzt sich auf den grünen Garten und wir füllen die Waschmaschine ein ums andere Mal. Von den Italiani für die Americans, die am Sonntag kommen. Junior ruft an, ob wir den Vicky von Sonntag auf Montag nehmen wollen, Uli kommt, ist ein bissl „weich drauf“, der hiesige Alltag hat uns wieder.