Homestory
Streifzüge 46/2009
von Lorenz Glatz
Dass unsere Atmosphäre sauerstoffreich, die des Mars hingegen daran arm sei, ist für beide kein Problem. Auch dass ein Lebensraum fischarm, ein anderer fischreich sei, kann ein Vergleich sein, der wenig über beider Qualität sagt. Dass es aber in einer menschlichen Gemeinschaft Reiche und Arme gibt, ist seit Anbeginn ein Ärgernis, ein Skandal.
Reichtum ohne Armut ist so wenig wie Hitze ohne Kälte. Ob eins das will oder nicht: Wer Reichtum will, nimmt Armut in Kauf. „Wär’ ich nicht arm, wärst du nicht reich“ (Brecht), stimmt. Es lässt sich nicht damit lösen, dass alle reich würden. Nicht bloß wegen der Sprachlogik. Auch wegen der Funktionsweise. Mit dem Reichtum ist es nämlich wie mit der Herrschaft. Die können auch nur wenige haben. Sonst ist sie nämlich keine. Cupido profunda imperi et divitiarum (Sallust), abgrundtiefe Gier nach Herrschaft und Reichtum, gehören schon in antiker Kritik an den herrschenden Zuständen ganz zu Recht zusammen.
Was Reich-sein-Wollen erstrebt, ist nicht einfach gutes Leben, liegt nicht im Kreislauf von Bedürfnis und Sättigung, sondern ist ein ewiges Mehr der einen auf Kosten der anderen, ohne auch nur die einen zu befriedigen. Reichtum findet früh im Geld seine adäquate Form und wird später im Kapital zum gesellschaftlichen Zwang zu Armut und ökologischem Desaster. Reichtum ist als Ausschluss anderer, als Eigentum und Herrschaft in die menschliche Geschichte getreten und ist von Anfang an bekämpft worden, weil er die Lebensgrundlagen der Gemeinschaft untergräbt.
Seine Eigendynamik entkoppelt auch den Reichen vom Wohlbefinden, dampft die sinnliche Lust am Genuss des Umgangs mit Mitmensch und Natur ein zum „verfluchten Hunger nach Geld“, nicht erst in modernen Zeiten, sondern schon bei Vergil. Viel, nein mehr muss man haben, was auch immer es ist.
Reichtum und gutes Leben grundsätzlich in einen Topf zu werfen, ist in unseren Zeiten ein Essential demokratischer Weltanschauung. Armut ist ein Versagen in der Ausnützung natürlicher und menschlicher, vor allem der eigenen Ressourcen. Reichtum ist das, was wir (uns) zu leisten haben und doch nie so recht erreichen, ein Bedarf, der selbst bedürftig, immer neu sich herstellt, idealiter als Sucht, deren Stoff sich günstig produzieren und (ver)kaufen lässt. Dauerrausch (vom Alko- bis zum Workoholik) als Glück und Antidepressiva für den Wachzustand, so sieht ein reiches Leben nicht selten aus.
Dem gegenüber hat gutes Leben heute wenig Platz, es ist im Wortsinn utopisch. Es ist vor allem etwas, woran es mangelt: Zeit haben, Zeit lassen, genießen, was und so lange es uns Freude macht, tun und geben, teilen und empfangen, so viel von allem, wie uns bekommt, Rausch und Erwachen, Leidenschaft und Ruhe, allein und geborgen. Entwicklung und Fortschritt, Neugier und Forschung als wachsender und gelingender Umgang der Menschen miteinander und mit der Natur. Und vieles, von dem wir träumen, es am Morgen aber nicht mehr wissen. Es gilt, eine geänderte Welt zu verstehen.